Burkini-Streit: „Unser Glaube bestimmt die Mode“

Michal Siv
Michal Siv(c) Michal Siv
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Den umstrittenen muslimischen Ganzkörperbadeanzug für Frauen gibt es ähnlich auch im Judentum. Ein Gespräch mit einer Designerin „keuscher“ Bademode in Israel.

In Europa, speziell in Frankreich, sorgt das muslimische Ganzkörperbadegewand für Frauen, der Burkini, derzeit für Debatten. In Frankreich hatten viele Orte das Tragen von Burkinis verboten, worauf das Oberste Verwaltungsgericht das Verbot jüngst aufhob, wenn auch nur mit Wirkung auf eine bestimmte Stadt an der Côte d'Azur. Die übrigen Orte wollen die Verbote vorerst aufrechterhalten, überhaupt scheint die Stimmung im Land angesichts islamistischer Tendenzen eher dafür zu sein.

Unter gläubigen Juden sind ähnliche Gewänder verbreitet. In Israel geht der Trend derzeit sogar wieder in Richtung eines züchtigen Auftritts von Frauen am Strand, mehrere Firmen stellen „keusche“, wie es heißt, Bademode her. So auch Michal Siv (48): Die ehemalige Kostümbildnerin und ihr Mann, einst Regisseur, verließen vor gut 20 Jahren das Theater und zogen in eine ultraorthodoxe Gemeinde. Sie ist fünffache Mutter, trägt Perücke und Kleider, die sie bis zu den Hand- und Fußgelenken bedecken. Sie näht keusche Badeanzüge und Freizeitgewand und vermarktet sie auch per Internet. (www.csuta.com)

Die Presse: Wie finden Sie diese Burkini-Debatte in Frankreich?

Michal Siv: Sie ist schrecklich chauvinistisch, egal, aus welcher Richtung argumentiert wird. Ich empfinde es als chauvinistische Liberalität, wenn ein Politiker meint, dass eine Frau, die Burkini trägt, unfrei sei. Das Thema ist der Körper der Frau. Sie allein entscheidet, was sie trägt und was nicht.

Dann sind die Frauen also nicht gezwungen, sich zu verhüllen?

Wenn religiöse Gründe vorliegen, also die Halacha (jüdisches Recht, Anm.), oder islamische Regeln vorschreiben, wie die Frau sich kleiden muss, kann man darüber nicht streiten. Es geht nicht um unsere Meinung: Gott entscheidet. So denken fromme Juden und Muslime. Unser Glaube bestimmt die Mode.

Es ist nicht der Mann, der sagt: „Du musst das und das tragen“?

Es mag oft so scheinen, dass Frauen benachteiligt werden im orthodoxen Judentum. Ich empfinde es genau umgekehrt: Ich bin heute viel weniger sexuelles Objekt, denn der Körper der Frau ist hier nicht mehr das Thema. Ich verhülle meinen Körper, damit er nicht Thema wird.

Wo ist der Burkini anders als die keuschen Badesachen, die Sie für fromme Jüdinnen nähen?

Beim Burkini müssen Kopf und Nacken verdeckt sein, diese Nuance macht für mich den ganzen Unterschied aus. Ich könnte das aber nicht tragen, ich finde das schon auf den ersten Blick schrecklich!

Und der keusche Badeanzug für Jüdinnen ist nicht schrecklich?

Die beim Burkini fest ans Oberteil genähte Kappe macht es für mich viel schwerer. Dennoch: Wenn ich bereit bin, nach religiösen Regeln zu leben, kann ich andere nicht verurteilen, wenn sie nach ihrem Glauben handeln. Von außen zu urteilen und Vorschriften zu machen, wäre arrogant. So geht das nicht.

Haben Sie auch muslimische Kundinnen?

Es gibt Anfragen von Araberinnen in Israel. Leider noch nicht viele.

Wirken sich Stufen im Frömmigkeitsgrad auf die Modelle aus?

Gemäß Halacha müssen Ellbogen und Knie bedeckt sein, das Oberteil hoch geschlossen, die Haare verdeckt. Viele kaufen aber auch Modelle mit kürzeren Ärmeln und Leggings. Manche fragen mich, ob das noch geht. Ich schicke sie dann zum Rabbi, der muss entscheiden.

Israelisches Mannequin mit züchtigem Badegewand
Israelisches Mannequin mit züchtigem Badegewandcsuta.com

Wieso machen Sie diese Mode?

Ich wuchs in Tel Aviv auf, das Meer ist Teil von mir, wir waren als Kinder und Jugendliche immer am Meer. Als ich zum Glauben kam, wollte ich erst mit einem Sari baden, nur ging das gar nicht. Für mich ist es Berufung, keusche Bademode zu machen. Kundinnen schreiben mir, sie seien glücklich, dass sie endlich ins Meer können.

Was dachten Sie, als Sie die Fotos von den Polizisten in Frankreich sahen, die eine Muslimin zwingen, ihren Burkini auszuziehen?

Das war erschreckend und sagt etwas über die Franzosen aus. Als hätten sie den Verstand verloren! Das Problem ist die enorme kulturelle Kluft. Mein erstes Gefühl war das eines Verlustes, dann der Versuch, sich an etwas festzuhalten, um sich zu retten. Am Burkini? Absurd eigentlich!

ZUR PERSON

Michal Siv (48) aus Tel Aviv entschied sich vor rund 20 Jahren für eine jüdisch-orthodoxe Lebensweise. Heute kreiert sie züchtige Bade- und Freizeitmode. [ privat ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.09.2016)

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