Peking im „Zeitalter des Smogs“

Sechs Tage lang herrschte in Peking Smog-Alarmstufe "Orange".
Sechs Tage lang herrschte in Peking Smog-Alarmstufe "Orange".REUTERS
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Die Stadtregierung will mit einer eigenen Polizeieinheit gegen Luftverschmutzung vorgehen. Doch die Kritik an kurzfristigen Maßnahmen, wie dem Verbot von Straßengrills, wächst.

Es war ein Befreiungsschlag für die 22 Millionen Einwohner der chinesischen Hauptstadt: Zum ersten Mal im heurigen Jahr wurden sie am Sonntag von strahlend blauem Himmel und Sonnenschein begrüßt. Tagelang war die Metropole in eine verheerende Wolke aus verpesteter Luft gehüllt gewesen. Grau in Grau hatten die Hauptstädter das neue Jahr eingeläutet. Kaum jemand wagte sich ohne Mundschutz aus dem Haus. Andere sperrten sich lieber mit Luftfiltergeräten zuhause oder in ihren Büros ein.

Knapp eine Woche lang hatte die Stadtregierung „Alarmstufe Orange“, Level drei auf einer vierstufigen Gefährdungsskala, ausgerufen – der Höhepunkt eines für Peking bis auf wenige Tage düsteren Jahresendes. Der Anteil von Feinstaubpartikeln in der Luft stieg über Silvester auf mehr als 500 Milligramm pro Kubikmeter. Das ist das Zwanzigfache des von der Weltgesundheitsorganisation erlaubten Höchstwerts.

Um die Gemüter zu beruhigen kündigte Pekings Bürgermeister den Einsatz einer eigenen Umweltpolizei an: Sie soll etwa gegen die beliebten Grills auf offener Straße, gegen illegale Müllverbrennungen und Straßenstaub vorgehen. Nach Protesten sorgevoller Eltern sollen nun auch in Kindergärten und Schulen Luftreinigungsmaschinen zur Verfügung stehen.

Reiseziele mit frischer Luft boomen

Doch Peking war mit seiner katastrophalen Luftqualität nicht alleine. Vergangene Woche litten mehr als die Hälfte der chinesischen Städte unter den bedrohlichen Dunstwolken, die jegliches Tageslicht abschirmten, Flughäfen und Schulen zum Erliegen brachten. Nordchina ist besonders betroffen: Nebel und andere winterliche Wetterbedingungen schließen ein Gemisch aus Abgasen von Industrie, Verkehr und Kohlewerken in einer giftigen Dunstglocke ein.

Die, die es sich leisten können, versuchen dem Smog im Ausland zu entkommen. Internetsuchen mit Schlüsselwörtern wie „Smog-Flucht“, „Lungen-Reinigung“ und „Wälder“ hätten sich in vergangener Zeit verdreifacht, berichtete der chinesische Online-Reisedienst „Ctrip.com“. Besonders beliebt zum Frischluft-Tanken seien bei Chinesen die Seychellen, die Malediven und Island. Am häufigsten in China versuchten Pekinger, der verpesteten Luft zu entfliehen.

Viele Bewohner der Hauptstadt sehen sich bei der heurigen Katastrophe an die sogenannte Airpokalypse im Winter vor drei Jahren erinnert. Damals erreichten die Smog-Werte neue Rekordhöhen. Mit einem selbstproklamierten „Kampf gegen die Umweltverschmutzung“ versucht die Regierung seitdem der Misere Herr zu werden. Tausende alte Rostkarren und besonders umweltschädliche Fabriken mussten bisher daran glauben. Doch zumindest für den heurigen Winter sah sich Umweltminister Chen Jining gezwungen, seine Niederlage einzugestehen: Er fühle sich schuldig und mache sich Vorwürfe, da der Smog das Leben der Menschen zum Erliegen gebracht habe, sagte er am Freitag.

Chinas Abhängigkeit von fossilen Energieträgern erschwere das Ringen um gute Luft. Jene sechs Regionen, die im Dezember am stärksten von Smog betroffen waren, seien für ein Drittel des landesweiten Kohleverbrauchs verantwortlich, meinte Chen. Trotz des Rückschlages aber werde China den Westen, der Jahrzehnte für die Lösung des Problems gebraucht habe, im Kampf gegen Luftverschmutzung überholen. Die Zeit drängt. Das weiß die KP-Führung, will sie nicht endgültig den Unmut der Bevölkerung auf sich ziehen.

Arzt landet mit „Smog-Gedicht“ Internethit

So landete ein Arzt aus Shanghai mit einem „Smog-Gedicht“ einen Internethit. Darin stellte er eine Verbindung zwischen Luftverschmutzung und Lungenkrebs her. Forscher schätzen, dass in China jährlich 1,6 Millionen Menschen an den Folgen ungesunder Luft sterben. Offizielle Zahlen der Regierung gibt es dazu jedoch nicht.

Immer lauter werden auch die Stimmen, die schnelles Wirtschaftswachstum um jeden Preis anzweifeln: Der Essayist Tang Yinghong sorgte mit einem Kommentar auf dem Nachrichtenddienst WeChat für Furore. Er kritisierte die Regierung, die Opfer der Luftverschmutzung zu vertuschen und aus Profitgier keine langfristigen Maßnahmen zu ergreifen. Smog betreffe schon lange nicht mehr nur Peking: Ganz China sei in das „Zeitalter des Smogs“ eingetreten.

("Die Presse"-Printausgabe, 10.1.2016)

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