Wie ein Provinzscheich Deutschland das Fürchten lehrte

(c) AP (Ralf Hirschberger)
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Der Aufruf eines Scheichs, den Mord an einer Ägypterin zu rächen, hat Deutschland in Alarmbereitschaft versetzt. Nun hat sich der Imam als islamistischer Wichtigtuer entpuppt.

Kairo/Dresden. 50.000 Euro hat die Panzerglasscheibe gekostet, die Alex W., den mutmaßlichen Mörder der Ägypterin Marwa El-Scherbini, vor seinem Attentäter schützen soll. Vor einem Angreifer aus den Tiefen des Internets. Da zumindest will ihn das sächsische Landeskriminalamt (LKA) gefunden haben. Und Spiegel Online hat den Fund am 25.Oktober unter dem Titel „Mordaufruf zur Rache für Marwa“ verbreitet.

Spiegel Online berichtete, dass vor dem Prozess gegen den mutmaßlichen Mörder der damals schwangeren Ägypterin in Dresden ein Mordaufruf aufgetaucht sei. In einer einstündigen Botschaft legte Scheich Ihab Adli Abu al-Madschd in Deutschland lebenden Muslimen nahe, den Angeklagten zu töten. Dafür stellte er Gottes Lohn in Aussicht.

Die Informationen stammen anscheinend vom sächsischen LKA. Denn das, so schreibt Spiegel Online, habe die Botschaft ausgewertet und gehe von „einer Bedrohungssituation“ aus. Die LKA-Analysen seien auch der Grund für die Sicherheitsvorkehrungen beim Dresdner Prozess.

Die Vorgeschichte: Alex W. hatte El-Sherbini auf einem Spielplatz in Dresden als „Islamistin“ und „Terroristin“ beschimpft und war zu einer Geldstrafe verurteilt worden. In der Berufungsverhandlung am 1.Juli tötete er dann die schwangere 31-jährige Moslemin mit 16Messerstichen im Gerichtssaal. Ihren Mann, der sie schützen wollte, verletzte er lebensgefährlich. Nun wird dem 28-jährige Alex W. der Mordprozess gemacht, ihm droht lebenslängliche Haft.

Aber wer ist dieser ominöse und offenbar so gefährliche Scheich, der den Angeklagten tot sehen will? Eine kurze Internetrecherche und eine Anfrage per E-Mail an Scheich Ihab Adli Abu al Madschd genügten. Sechs Tage später meldet er sich und ist bereit zu einem Treffen. Bei der einstündigen Botschaft auf einer der Internetseiten der radikalen Islamisten handle es sich eigentlich um eine Freitagspredigt, die er in einer Moschee in Tanta, einer Provinzstadt im Nildelta, im Sommer gehalten hat.

„Kein Recht steht über dem Koran“

Zwei Tage später in Ägyptens Hauptstadt Kairo: Der Scheich sieht genau so aus, wie man sich folkloristisch einen radikalen Islamisten vorstellt – mit Bart, die Kopfhaare geschoren. Der 39-Jährige ist sichtlich erfreut über das Medieninteresse. Er hat kein Problem damit, seinen Mordaufruf noch einmal zu wiederholen. Hier gehe es um einen vorsätzlichen Meuchelmord an einer Moslemin, sagt er. Dafür sei in der Sharia, dem islamischen Recht, die Todesstrafe vorgesehen. „Es geht hier nicht um die Tat gegen einen Einzelnen, sondern gegen das Recht Gottes, und es ist die Pflicht jedes Moslems, dieses Recht durchzusetzen,“ meint er. Auf den Einwand, dass er sich damit über nationales deutsches Recht stellt, zieht er einen kleinen Koran hervor: „Nicht ich stehe über dem Recht, dieses Buch steht über allem, auch dem ägyptischen Recht,“ erwidert er.

Der Rest des Gesprächs verläuft sich in der wirren Welt eines radikalen Islamisten. Der Vorwurf, dass durch seine im Internet verbreitete Botschaft in Deutschland anstatt über den Mord an einer Moslemin über mögliche islamische Racheaktionen diskutiert wurde, lässt ihn kalt. „Mit meinem Aufruf habe ich das deutsche Gericht unter Druck gesetzt, und das ist gut.“

Starke Worte. Aber wie viel Gewicht hat ein Provinzscheich, der seine Predigten ins Internet stellt? Sein ebenfalls ins Internet gestellter Lebenslauf besagt lediglich, dass er Maschinenbau studiert hat und in Saudiarabien den Koran studiert hat und diesen auswendig kann. Ein offizieller Abschluss als islamischer Rechtsgelehrter wird dort nicht erwähnt.

Unbedeutender Imam

Auch ein von radikalen Islamisten frequentiertes Internetforum gibt keine Antworten. Offensichtlich ist der Scheich aus Tanta in der fundamentalistischen Szene nicht sonderlich bekannt. Ein Anruf bei Dia Raschwan, Ägyptens prominentem Experten für militanten und radikalen Islam, beim Al-Ahram-Zentrum für strategische Studien – das gleiche Resultat: „Ich erforsche die ägyptische Islamisten-Szene schon seit Jahren, aber von diesem Mann habe ich noch nie gehört,“ sagt Raschwan. „Wir erleben in Ägypten eine Welle des radikalen Islam, aber dieser Scheich spielt darin keine Rolle,“ fügt er hinzu. Die Einzigen, die ihn bekannt machten und ihm eine Plattform geben, seien die Medien in Deutschland, beklagt der ägyptische Islamisten-Experte.

Sind das sächsische LKA und der „Spiegel“ einem fundamentalistischem Schaumschläger aufgesessen? Wenigstens ein hochrangiger islamischer Rechtsgelehrter der Azhar- Universität, einer der wichtigsten Autoritäten im sunnitischen Islam, hat schon einmal von Scheich Abu al Madschd gehört. „Dieser Mann ist ein unbedeutender Imam in einer vollkommen unbedeutenden Moschee in einem unbedeutenden Dorf, fernab des Zentrums islamischer Rechtsprechung,“ lautet Scheich Farahat El Monguis vernichtendes Urteil. Strafen könnten im Islam nicht einzelne Personen oder irgendwelche Scheichs aussprechen, das bleibe allein Richtern und Gerichten überlassen, kontert der islamische Rechtsgelehrte. Das Verbrechen müsse nach den Gesetzen des Landes beurteilt werden, in dem es stattgefunden hat.

Virtuelle Aufgeblasenheit

Eine Meldung und ihre Geschichte. Von der Hinterhofmoschee im Nildelta über die virtuelle Autobahn zur Gefährdungsanalyse des sächsischen LKA und wieder zurück ins Internet bei Spiegel Online, um dann über die Deutsche Presseagentur in Tageszeitungen zu landen. Die medialen Wege der islamischen Rache sind verschlungen. Mancher Scheich, der sich in der virtuellen Welt aufbläst, ist in der realen Welt kein Panzerglas wert. Manchmal reicht es vielleicht einfach, ihn zu hinterfragen.

AUF EINEN BLICK

Scheich Ihab Adli Abu al Madschd ist Imam einer Moschee in der ägyptischen Provinzstadt Tanta im Nildelta. Die einstündige Audiobotschaft, in welcher der 39-Jährige zum Mord an Alex W. in Dresden aufruft, war eine Freitagspredigt, die im Internet auf einer Seite von Islamisten landete. Islamische Rechtsgelehrte sprechen dem Scheich jegliche Autorität ab. Er sei nicht dazu befugt, Strafen auszusprechen. [Mike Atef]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.11.2009)

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