Ein Erdbeben der Stärke 8,8 hat in Chile über 700 Tote gefordert. Rettungsteams suchen verzweifelt nach Verschütteten. Plünderer ziehen durch die Straßen. Der befürchtete Riesen-Tsunami in der Pazifikregion blieb aus.
Durch das schwere Erdbeben und den darauffolgenden Tsunami sind in Chile mindestens 711 Menschen gestorben. Etwa zwei Millionen Häuser und Wohnungen sollen zerstört worden sein. Das Beben der Stärke 8,8 auf der Richterskala ereignete sich Samstagfrüh und erschütterte vor allem das Zentrum und den Süden des Landes. Chile erhielt Hilfsangebote aus aller Welt. Zahlreiche Nachbeben behinderten die Bergung von Verschütteten und die Hilfslieferungen.
Ein weiteres Problem sind Plünderungen: Menschen plünderten Apotheken und andere Geschäfte, die Polizei setzte auch hier Wasserwerfer, Tränengas und Gummigeschoße ein. Für die zweitgrößte Stadt des Landes, Concepcion, wurde ein Ausgangssperre verhängt, 55 Menschen wurden verhaftet. Bei der Verteilung von Lebensmitteln kam es zu Rangeleien. Auch aus der Hauptstadt Santiago wurden Plünderungen gemeldet. Sicherheitskräfte setzten Tränengas ein. 10.000 Soldaten wurden in die Krisenregion entsandt, um für Ordnung zu sorgen.
Schwierig ist die Lage auch in dem kleinen Küstenort Pelluhue. Dort starben mindestens 40 der 3000 Einwohner durch die vom Beben ausgelöste Flutwelle. Fast der ganze Ort wurde durch eine nach Augenzeugen bis zu zehn Meter hohe Flutwelle zerstört. Sie traf den Ort 40 Minuten nach dem Beben. Viele Holzbauten verschwanden ganz. Die genaue Zahl der Obdachlosen war unbekannt. Präsidentin Michele Bachelet hatte von 1,5 Millionen zerstörten oder beschädigten Wohnungen gesprochen.
"Wahre Hölle"
"Es war die schlimmste Erfahrung meines Lebens", sagte der 22-jährige Sebastián aus der Hauptstadt Santiago. Andere, wie die UN-Mitarbeiterin Maren Andrea Jimenez aus den USA, sprachen von einer "wahren Hölle". In manchen Orten in der Nähe des Epizentrums wurden bis zu 95 Prozent der Häuser zerstört. Im ganzen Land brachen Wasser-, Strom- und Telefonleitungen zusammen, unter anderem gab es im größten Teil von Santiago kein Licht. Auf dem internationalen Flughafen der Hauptstadt entstanden erhebliche Sachschäden. Das Abflugterminal wurde teilweise zerstört, eine Fußgängerpassage stürzte mehr als fünf Meter herab.
Das Epizentrum des Bebens lag etwa 325 Kilometer südwestlich von Santiago im Pazifik. Die Verbindung zu der etwa 100 Kilometer vom Epizentrum entfernten Küstenregion rings um die Stadt Concepcion gestaltete sich schwierig. Die Bürgermeisterin teilte am Sonntag mit, unter den Trümmern eines eingestürzten Gebäudes seien mindestens 100 Menschen verschüttet worden. In die Hafenstadt Talcuhuano brach eine 2,3 Meter hohe Flutwelle ein und spülte Schiffe bis ins Zentrum.
Tsunami milder als befürchtet
Entwarnung gab es für Hawaii, Japan und zahlreiche weitere Pazifik-Anrainer: Der ausgelöste Tsunami verlief glimpflich. Zwar erreichten Hawaii 16 Stunden nach dem Beben mehrere bis zu zwei Meter hohe Flutwellen, über Schäden oder Verletzte wurde aber nichts bekannt. Auch in Japan wurden Flutwellen registriert, die höchste maß nach offiziellen Angaben 90 Zentimeter. Am Sonntag hob das Tsunami-Warnzentrum in Hawaii seinen Alarm für 53 Staaten und Regionen im gesamten Pazifikraum wieder auf.
In Chile trafen allerdings kurz nach dem Beben Wellen mit zwei bis drei Metern Höhe auf die Küste. Verteidigungsminister Francisco Vidal wirft der Marine vor, sie habe keine Tsunami-Warnung herausgegeben. Hafenkapitäne hätten jedoch in Eigenregie vor einem Tsunami gewarnt und damit hunderte, wenn nicht tausende Menschen gerettet, sagte Vidal auf einer Pressekonferenz.
Richterskala
Stärke 1-2: nur durch Instrumente nachweisbar
Stärke 3: nur selten in der Nähe des Epizentrums zu spüren
Stärke 4-5: 30 Kilometer um das Zentrum spürbar, leichte Schäden
Stärke 6: mäßiges Beben, Tote und schwere Schäden in dicht besiedelten Regionen
Stärke 7: starkes Beben, Katastrophen mit Todesopfern
Stärke 8: Großbeben mit vielen Opfern und schweren Verwüstungen
Internationale Hilfe zugesagt
Die USA, die Europäische Union sowie mehrere andere Länder und internationale Organisationen wie die Weltbank und der Internationale Währungsfonds sagten Unterstützung zu und bereiteten sich auf einen umfangreichen Hilfseinsatz vor. Die EU gab drei Millionen Euro an Soforthilfen frei. Die EU-Außenministerin Catherine Ashton telefonierte anschließend mit dem chilenischen Außenminister Mariano Fernandez und äußerte sich lobend über den "professionellen Umgang" der chilenischen Behörden mit den Folgen der Katastrophe. Benötigt würden vor allem Unterstützung beim Bau von Brücken, medizinische Betreuung, Anlagen zur Wasseraufbereitung und Telekomverbindungen, sagte Ashton.
Auch die internationale Hilfsorganisation Care betonte, Chile verfüge über ein großes Potenzial zur Selbsthilfe. Das weit reichere Land sei nicht mit dem sehr armen Haiti zu vergleichen. Allerdings seien die Nachrichten sehr besorgniserregend. "Was wir von dort hören, ist grauenhaft. Die Infrastruktur ist zusammengebrochen, der Transport schwierig, die Menschen betteln in den Straßen um Trinkwasser", sagte Care-Sprecher Thomas Schwarz.
UN-Generalsekretär Ban Ki Moon drückte sein Bedauern über die Naturkatastrophe aus und kündigte Hilfsbereitschaft an: "Die UN, insbesondere der Nothilfekoordinator, stehen bereit." Papst Benedikt der XVI. erklärte, die Hilfe kirchlicher Einrichtungen für Chile werde nicht auf sich warten lassen. Das chilenische Außenministerium bat allerdings, zunächst die Bestandsaufnahme des Katastrophenschutzes abzuwarten. Die auf Katastrophen-Schätzungen spezialisierte US-Firma EQECAT bewertete den durch das Beben angerichteten Wirtschaftsschaden auf 15 bis 30 Milliarden Dollar.
(Ag./Red.)