Tschechien: Wo das Bier den Bach runtergeht

(c) APN (Thomas Kienzle)
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Statt wie seit jeher beim Wirt zu hocken, schwenken die Tschechen auf Billigbier aus dem Supermarkt um. Man spricht vom Untergang des wichtigsten Stücks Identität.

PRAG. Das hat unseren nördlichen Nachbarn gerade noch gefehlt: Die Wirtschaftkrise vermiest den Tschechen den Besuch ihres „Wohnzimmers“: des Wirtshauses. Laut einer neuen Statistik steigt die Zahl jener, die billiges Bier im Supermarkt kaufen und einfach zu Hause bechern, dramatisch an. Und keiner stört sich groß daran.

Was ist los mit den Weltmeistern im Bierkonsum, die nach Statistiken von 2008 etwa 160 Liter pro Kopf und Jahr tranken (die Österreicher nahmen mit 109 Liter abgeschlagen Rang zwei ein). Was ist los mit den Recken, die Bier trinken nie als bloße Maßnahme gegen den Durst, sondern als „Kulturtat“ begriffen haben?

Die berühmte siebte Kellerstufe

Was haben sie nicht für einen Aufwand betrieben, wenn's um Bier ging. Von der siebten Kellerstufe musste es sein, weil es da die beste Temperatur habe. In einem Zug musste das Glas gefüllt werden – und von manchen auch so geleert. Zehntausende machten freiwillig bei der Hopfenernte mit, um sicherzugehen, dass sie auch schonend von Hand erfolgt. Man amüsierte sich über Produkte aus dem Ausland, die angeblich Bier sein wollten, aber nicht an tschechische Qualität und Geschmack heranreichten.

Das Wirtshaus war nicht nur Ort des Trinkens, sondern Treffpunkt, um über die Welt, seltener über Gott zu schwadronieren. Alles und jeder wurde hier erörtert. Der Obrigkeit schwor man den Sturz, sollte sie es wagen, den Bierpreis zu erhöhen. Und jetzt?

Ein Kommentator der konservativen Zeitung „Lidove noviny“ sieht den Untergang eines Stücks Identität kommen und bemühte sich, Volkes Aufschrei herbeizuschreiben: „Wenn die Franzosen plötzlich ihren Wein nicht mehr im Bistro tränken und auf Billigfusel aus dem Tetrapack umstiegen, würde vermutlich Präsident Nicolas Sarkozy eine nationale Debatte lostreten. Und bei uns? Wo bleibt die Debatte über tschechische Bierkultur und unsere Identität?“

Das Glas kommt unaufgefordert

Wolle man, dass jene Oberwasser bekämen, für die Bier ein Synonym für Verderbnis, Gesundheitsschädigung und Dummheit eines ganzen Volkes sei? Man müsse das anders sehen: Nur in Tschechien setze sich ein Gast ins Wirtshaus und kriege ohne jede Bestellung ein Bier vor die Nase gestellt. Ohne Worte leere er das Glas und habe schon ein neues vor sich. Das sei einzigartig. Und bewahrenswert.

Die Krise habe eine gefährliche Bresche geschlagen. Man gehe nicht mehr einfach „auf ein, zwei Biere“, womit eigentlich die Zahlenkombination von 1 und 2 zur 12 gemeint gewesen sei. Dafür wüssten die Leute jetzt, wo man das billigste Dosenbier kriege. Eine Schande, hieß es im Kommentar, der unter dem schönen Titel stand: „Bier – das sind wir“.

Trinkrekord nur dank Touristen

Am Mythos der Biertrinkweltmeister wird in Tschechien freilich seit Jahren gerüttelt. Es seien nur die Touristen, die Tschechien auf Rang eins hielten, sagen Statistiker. Was sie mit den steigenden Preisen in Konnex brachten: Vornehmlich in größeren Städten bekomme man kaum noch einen halben Liter unter umgerechnet einem Euro. Auf Prags Touristenmeilen sind deutsche Preise fällig, was die Touristen nicht stört, Einheimische aber abschreckt.

Natürlich weiß das auch zitierter Kommentator. Aber er versuchte dennoch, die Tschechen bei der Ehre zu packen: „Vergessen wir nicht, was bei uns alles bei einem frisch gezapften Bier aus der Taufe gehoben wurde. Zuletzt eine unabhängige Kultur und die Pläne zur Wiedererlangung der Freiheit.“

Ob es hilft? Die nächste Statistik wird es uns verraten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.03.2010)

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