„Atelier Afrika“: Äthiopien kämpft um sein Humankapital

aethiopien kaempft sein Humankapital
aethiopien kaempft sein Humankapital(c) REUTERS (Thomas Mukoya)
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Die Abwanderung von Fachkräften ist für afrikanische Staaten das größte Enwicklungshindernis. Doch manche Gutausgebildete, wie Professor Tilahun Sinshaw, kehren in ihre Heimat zurück.

Addis Abeba.Professor Tilahun Sinshaw könnte seine Ferien erholsam in den USA verbringen. Doch er kehrt jedes Jahr in seine Heimat Äthiopien zurück, um dort an der Universität von Addis Abeba zu unterrichten. Er tut dies aber nicht, weil es ihm einen Karrieresprung verschaffte oder finanzielle Anreize böte: „Es sind meine eigenen Schuldgefühle, die mich hierher zurückbringen“, erklärt der Professor für Psychologie, der am College of New Jersey in den USA lehrt und lebt.

Als Tilahun Sinshaw erfuhr, dass es zu wenige Lehrende an der Fakultät für Psychologie in Addis Abeba gab, bot er der Universität seine Hilfe an: „Ich beschloss, in einer für mich passenden Weise etwas zu tun, um zur Entwicklung meines Landes beizutragen“, beschreibt er seine Motivation. Für seine Unterstützung erhält er im Gegenzug lediglich Flugticket, Unterkunft und 1000 US-Dollar – weit weniger, als er in den USA für dieselbe Tätigkeit verdienen würde.

Zwei Mal im Jahr, jeweils während der US-amerikanischen Semesterferien von Dezember bis Jänner und Mai bis August, verbringt Sinshaw seinen Urlaub arbeitend in Addis Abeba.

Besseres Umfeld nötig

„Äthiopien braucht mehr Ärzte, Ingenieure, medizinisches Personal, Universitätsprofessoren und so weiter“, meint er: „Also muss die Regierung so handeln, dass sie diese Leute zurückhält. Sie muss ein gutes Umfeld schaffen, sodass sich die Menschen akzeptiert fühlen. Aber die gebildeten Leute werden hinausgedrängt.“

In Äthiopien gibt es einen einzigen Vollzeit-Professor für Ökonomie, während in den USA mehr als einhundert äthiopische Wirtschaftswissenschaftler arbeiten. Allein in den USA sind mehr in Afrika geborene Menschen als Wissenschaftler und Ingenieure tätig als auf dem gesamten afrikanischen Kontinent.



„Äthiopien braucht mehr Ärzte, Ingenieure, medizinisches Personal und Universitätsprofessoren.“

Tilahun Sinshaw

In den 1980er-Jahren verließ Tilhun Sinshaw Äthiopien, um in den USA ein Doktoratsstudium zu absolvieren. Anfang der 90er-Jahre erwog er, wieder dauerhaft nach Äthiopien zu ziehen. Doch zu dieser Zeit wurden mehr als 40 seiner Kollegen in Addis Abeba aus politischen Gründen plötzlich entlassen: „Wenn diese Leute gefeuert werden, warum sollte ich zurückkommen und dasselbe Schicksal erleiden?“, dachte er verärgert. Die politische Instabilität gilt als „Push“-Faktor, der Abwanderung begünstigt. Andererseits gibt es auch „Pull“-Faktoren: Professor Sinshaw wird beispielsweise für seine Tätigkeit in den USA besser entlohnt, weiters lassen sich seine akademischen Ziele dort besser verwirklichen als in seiner Heimat.

Ökonomische Konsequenzen

Äthiopien ist eines der am stärksten von „Braindrain“ betroffenen Länder. Gut (aus-)gebildete Fachkräfte wandern nach Europa oder in die USA ab. Dies hat nicht nur einen verheerenden Mangel an geschultem Fachpersonal zur Folge, sondern auch ökonomische Konsequenzen für die afrikanischen Staaten. Sie finanzieren meist die Ausbildung derer, die später in den Westen abwandern und ihr Wissen und Können dort einsetzen.

Laut der UN-Wirtschaftskommission für Afrika ist die Emigration von Fachkräften das größte Hindernis für die Entwicklung des Kontinents, der schon ein Drittel seines Humankapitals an den Westen verloren hat. Jährlich verlassen etwa 20.000 gut ausgebildete Menschen aus beruflichen Motiven ihre Heimatländer.

In den vergangenen Jahren hat die äthiopische Regierung einige Programme ins Leben gerufen, um ihre eigenen, gut ausgebildeten und beruflich erfahrenen Fachkräfte wieder ins Land zu locken und so die Basis für die weitere Entwicklung des Landes zu schaffen. Die Universität von Addis Abeba hat das Projekt „Braingain“ gestartet, mit dem versucht wird, einige abgewanderte äthiopische Professoren zur Rückkehr und aktiven Mitarbeit zu bewegen und viele haben bereits ihr Interesse und Engagement erklärt, so wie Professor Sinshaw. Er fördert das Potenzial seines Heimatlandes und trägt ein klein wenig dazu bei, das Land wirtschaftlich und wissenschaftlich voranzubringen.

Die Artikel auf dieser Seite sind Teil des Projekts „Atelier Afrika“. Dabei erstellen Studierende des Instituts für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Uni Wien gemeinsam mit Studierenden in Afrika Texte.

Redaktion: Wieland Schneider und Helmar Dumbs.

AUF EINEN BLICK

Äthiopien ist den meisten Österreichern vor allem wegen der Hungerkatastrophe in den 80er-Jahren ein Begriff. Heute erhält das Land seine Devisen vor allem vom Handel mit Kaffee, Schnittblumen und anderen Agrargütern sowie vom aufkeimenden Tourismus. Äthiopien gehört zu den Verbündeten der USA in Afrika.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.06.2010)

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