Erdöl: Das Blut, der Dreck, das Gold

(c) EPA (Shawn Baldwin)
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Tausende Tonnen schießen im Golf von Mexiko täglich ins Meer: vom Saft, an dem unsere Industrie und unser Verkehr hängen. Zur Geschichte, Chemie und Metaphorik eines unreinen Gemischs von Kohlenwasserstoffen.

DAS MEER KOTZT. Dass das Meer „den Industriegesellschaften ihren raffinierten Energiedreck jetzt vor die Küsten kotzt“, schrieb die „Süddeutsche Zeitung“. Eine raffinierte Formulierung für eine Substanz, die im technischen Sinn just noch nicht raffiniert ist, sondern roh aus der Erde schießt: das Erdöl, das „schwarze Gold“.

Das Gold als Erbrochenes, als Dreck, die Gleichsetzung mutet freudianisch an: So erklärte Freud die Verbindung der „analen Phase“, in der das Kind den Stuhl zurückzuhalten lerne, mit dem Geiz, mit dem Horten von Schätzen. Aber auch Luther spürte Parallelen: „Teufelsdreck“ nannte er das Gold.

Gold, das lernt in der Krise auch der Laie, ist eine gute Form der Geldanlage, weil es – im Gegensatz z.B. zu bedrucktem Papier – ein an sich knappes Gut ist. Das gilt auch fürs Erdöl. Seit Jahrzehnten lernen die Kinder in der Schule, dass es versiegen wird, dass unsere Industrie und unser Verkehr auf einer Substanz gründet, die uns ausgeht. Ein drastisches, aber realistisches Bild für die Untergangsangst unserer Zivilisation.


DAS BLUT DES KRIEGES. Wir hängen „am Tropf der Scheichs“, schreiben die Leitartikler, wenn wieder einmal, wie zuerst 1973, eine Ölkrise dräut. Dahinter steht ein anderes Bild für das Erdöl: als „Blut der Erde“. So nennen die südamerikanischen Indianer vom Stamm der U'wa das Erdöl: Durch seine Förderung werde die Erde verletzt. Diese animistische Vorstellung wurde über die Grenzen ihres Siedlungsgebiets (in den Wäldern von Kolumbien) hinaus bekannt, weil die U'wa dieses in einem jahrelangen, zähen Streit gegen den Zugriff von Erdölfirmen – vor allem die kolumbianische Ecopetrol – verteidigen.

„Öl ist das Blut der Erde, das Blut des Sieges“, sagte Senator Henry Bérenger, Leiter des französischen Comité Général du Pétrole, nach Ende des Ersten Weltkriegs: „Deutschland hat sich zu sehr mit seiner Überlegenheit bei Eisen und Kohle gebrüstet, es hat darüber unsere Überlegenheit beim Erdöl vergessen.“ Und er fuhr poetisch fort: „Wie Öl das Blut des Krieges war, so wird es auch das Blut des Friedens sein.“ Es sollte nicht der letzte Krieg sein, in dem die Verfügbarkeit von und/oder die Verfügungsmacht über Erdöl eine Rolle spielt. Afghanistan, Sudan, Irak, Iran – überall riefen die Kriegsgegner: „Kein Blut für Öl!“

Der erste „Ölkrieg“, 1872, war kein militärischer Krieg, sondern ein Preiskrieg: Die Ölförderer Amerikas boykottierten die 1863 von John D.Rockefeller gegründete Standard Oil. Die 1911 auf Betreiben von Präsident Theodore Roosevelt in 34 Unternehmen zerschlagen wurde – in der wohl imposantesten Anwendung der Antimonopolgesetze in der US-Geschichte.


AUS DEM BAUCH DER ERDE. In Mexiko wurde die Erdölindustrie bereits 1938 nach langen Arbeitskämpfen verstaatlicht. Doch im Golf von Mexiko bohrte die britische Firma BP (früher „British Petroleum“, heute lieber als „beyond petroleum“ gedeutet“) in 1500 Meter Tiefe – bis zur Explosion vom 20.April 2010. Seither schießen unfassbare 3400 Tonnen Rohöl pro Tag ins Meer, auch nach Aufsetzen eines Trichters sind es noch 2000 Tonnen: eine „Ölpest“, eine gigantische Verschmutzung. Die man unwillkürlich auch – metaphorisch – als sinnloses Ausbluten versteht, als Verschwendung des knappen Rohstoffs. Den wir aus immer tieferen Schichten der Erde ziehen müssen.

Dass die „Mutter Erde“ von Bergbau der Menschen geplündert, verletzt, gar „geschändet“ werde, ist ein Lieblingsmotiv der esoterisch gesinnten Teile der Umweltschutzbewegung, die, wenn sie ihre „Doors“ gehört haben, wohl auch Jim Morrison zitieren, der „What have they done to the Earth?“ fragte und antwortete: „Ravaged and plundered and ripped her and bit her.“


DAS TOTE PLANKTON. Das Erz, das sich im Bauch der Erde findet, wird freilich selten als lebendig gesehen (obwohl Kobalt und Nickel nach Kobolden und Nigeln heißen, weil sie den Bergmann täuschen). Ist es auch nicht. Das Erdöl natürlich ebenfalls nicht. Im Gegensatz zum Erz ist es aber lebendigen Ursprungs. Es ist aus Meeresorganismen, aus Algen und Plankton, entstanden, die starben und auf den Boden sanken, wo sie, bedeckt von weiteren Sedimenten, in Abwesenheit von Sauerstoff hohem Druck und hoher Temperatur ausgesetzt waren. So wandelten sie sich im Lauf der Jahrmillionen in die zähe Flüssigkeit um, die wir als Erdöl kennen und fördern. Damit ist klar, dass dieses in absehbarer Zeit versiegen muss.

Nur Außenseiter vertreten die „abiogene Theorie“, der zufolge Erdöl auch rein anorganisch könne. Selbst wenn das wahr wäre, könnte das Erdöl nicht so schnell „nachproduziert“ werden, wie wir es verbrauchen. Verbrauchen heißt hier, chemisch gesehen, vor allem: oxidieren, also verbrennen, Endstation Kohlendioxid. So wie verrostetes (oxidiertes) Metall energieaufwendig wieder reduziert werden muss, um das Metall zu rezyklieren, müsste auch das CO2 im Prinzip reduziert werden, um wieder Kohlenwasserstoffe daraus zu machen. Das wäre freilich energieaufwendig: Man müsste (mindestens) die Energie investieren, die man nachher beim Verbrennen gewinnen kann. Genau diese Energie investierte im Fall des Erdöls sozusagen die Erde selbst, indem sie für hohen Druck und hohe Temperatur sorgte.


DAS LICHT DES ZEITALTERS.
Die ersten, die Erdöl absichtlich verbrannten, waren wohl die Babylonier. „Naptu“, von einem Wort für „leuchten“, nannten sie es, weil sie Lampen damit speisten. Das war auch in der Neuzeit die erste technische Verwendung für das Erdöl – das manche Indianer Nordamerikas als Medizin verwendet hatten. Als „heilsame Salbe aus dem geheimen Quell der Natur“ pries es noch ein Vertreter von Seneca Oil (benannt nach dem Stamm der Seneca), 1858 in Pennsylvania gegründet.

Das Erdölzeitalter hatte freilich schon 1854 in Galizien begonnen: Aus Schächten wurde das Erdöl geschöpft. 1912 noch war die österreichisch-ungarische Monarchie – nach Amerika und Russland – das drittgrößte Ölförderland. Erstmals erfolgreich nach Erdöl gebohrt wurde aber 1859 in Pennsylvania, zirka 20 Meter tief.

„Als Beleuchtung ist das Öl ohne Vergleich: Es ist das Licht des Zeitalters“, stand 1860 im ersten amerikanischen Handbuch über Erdöl: „Wer es noch nie brennen gesehen hat, sei versichert: Its light is no moon-shine.“ – „Moonshine“, das heißt nicht nur „Mondlicht“, sondern steht auch für in der Nacht, weil illegal gebrannten Schnaps. Tatsächlich wechselten etliche Whiskeyproduzenten damals in die Erdölbranche: Sie hatten einen Startvorteil, die Kunst des Destillierens beherrschten sie bereits.


DER SAFT DER EWIGEN JUGEND.
1888 unternahm Bertha Benz die erste Überlandfahrt mit Benzinmotor: von Mannheim nach Pforzheim und zurück. Als ihr das Benzin ausging, „tankte“ sie in der Apotheke von Wiesloch: Leichtbenzin („Ligroin“), das als Reinigungsmittel verkauft wurde. Die erste „Drive-in-Tankstelle“ eröffnete erst 1907 in St.Louis.1927 schrieb die Firms Shell erstmals ihren Tankwarten vor, die Frage zu stellen: „Soll ich Ihren Reifendruck überprüfen?“ Ein Jahr später hielt der Werbefachmann Bruce Barton vor Industrievertretern einen Vortrag über „The Magic of Gasoline“. „Meine Freunde“, sagte er, „das ist der Saft des Brunnens der ewigen Jugend, den ihr verkauft. Es ist Gesundheit. Es ist Komfort. Es ist Erfolg. Und ihr habt bisher lediglich eine übel riechende Flüssigkeit um so und so viele Cents pro Gallone verkauft.“


DAS ERSTICKENDE PECH.
Auch das griechische Wort „Naphtha“ kommt vom babylonischen „Naptu“, im Weiteren z.B. auch das Naphthalin, ein aromatischer Kohlenwasserstoff, der weniger im Erdöl als im Steinkohlenteer vorkommt. Wenn in heutigen Raffinerien das Erdöl unter Vakuum destilliert wird, bleibt ein fester, zäher Rest: das Bitumen, ein Bestandteil des Asphalts. Auch er war den Babyloniern schon bekannt: Sie verwendeten ihn als Mörtel.

Das Wort „bitumen“ allerdings kommt aus dem Lateinischen. Zum flüssigen Erdöl sagten die Römer dagegen „petrae oleum“, Steinöl. Auch das ist eine Metapher, denn mit dem Öl, das man auf den Salat träufelt, hat das Erdöl chemisch nichts zu tun. Dieses ist flüssiges Fett, das Erdöl dagegen ein wildes Gemisch organischer Verbindungen, vor allem von Kohlenwasserstoffen. Beide weichen dem Wasser aus, das macht sie ölig.

Es ist diese Eigenschaft, die das Erdöl so lebensfeindlich macht. Man kann es nicht abwaschen. Es bedeckt das Wasser. Es verklebt Vögeln die Federn, es erstickt Krebse am Strand. Das Blut, das Gold, der Dreck.

BRENNSTOFF UND GRUNDSTOFF FÜR ORGANISCHE CHEMIE

Erdöl ist ein Gemisch aus vielen Stoffen, hauptsächlich Kohlenwasserstoffen, das sind Verbindungen, die nur aus Kohlenstoff und Wasserstoff bestehen. Raffiniert wird das rohe Erdöl durch fraktionierte Destillation, seine Bestandteile werden also aufgrund ihrer unterschiedlichen Siedepunkte getrennt.

Alkane sind die Kohlenwasserstoffe, die nur Einfachbindungen enthalten, sie bilden eine Reihe. Die ersten vier (Methan, Ethan, Propan, Butan) sind bei Normaldruck und -temperatur gasförmig, sie finden sich im Erdgas. Es folgen, mit fünf bis 16 C-Atomen, Pentan, Hexan, Heptan, Oktan, Nonan, Decan usw.: Sie sind flüssig, aber umso zäher, je länger die Kette aus C-Atomen ist. Noch höhere Alkane sind fest: Sie werden z.B. als Wachse (Paraffine) und als Bitumen (für Asphalt) verwendet.

Benzin besteht aus flüssigen Alkanen, aber auch anderen Kohlenwasserstoffen, seine Qualität (Klopffestigkeit) wird als Oktanzahl angegeben. Der Siedebereich liegt bei Motorenbenzin zwischen 25 und 310, bei Kerosin zwischen 150 und 300, bei Diesel und Heizöl zwischen 170 und 390, bei Petroleum zwischen 175 und 325 Grad Celsius.

Die chemische Industrie erzeugt aus Erdöl an die 300 grundlegende Chemikalien, die oft für weitere Synthesen gebraucht werden. So wird aus Butadien (wie Butan, nur mit zwei Doppelbindungen) Synthesekautschuk und aus Ethen (wie Ethan, nur mit einer Doppelbindung) der Kunststoff Polyethylen erzeugt. Wesentlich für die Petrochemie ist die Technik des Crackens, bei der längerkettige Kohlenwasserstoffe in kürzerkettige zerlegt werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.06.2010)

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