Titos Bunker als Musentempel

(c) AP Photo (Amel Emric)
  • Drucken

In einem abgelegenen Tal unweit der bosnischen Stadt Konjic ließ sich Jugoslawiens Staatschef Josip Broz Tito einen Atombunker graben. Das unterirdische Reich soll nun zur Kunstgalerie für Moderne Kunst werden.

KONJIC. Draußen vor dem unscheinbaren Häuschen rauschen die grünen Fluten der Nereva durch die enge Schlucht. Wie in einem zweitklassigen Agentenfilm öffnet drinnen eine unscheinbare Stahltür in der Rückwand den Zugang zu dem unterirdischen Bunkerreich. In dem abgelegenen Tal unweit der bosnischen Stadt Konjic hat Jugoslawiens legendärer Staatschef Josip Broz Tito von 1953 bis 1979 sein geheimes Refugium für den Fall eines Atomkriegs graben lassen.

Ein gebogener Tunnel bahnt den Weg auf der Zeitreise in die vergangene Ära des Kalten Krieges. Der 6500 Quadratmeter große Bunker sollte bei einem Atomschlag als Hauptquartier für Jugoslawiens Staats- und Armeeführung dienen, erzählt Feldwebel Almir Gakić: „350 Menschen hätten hier problemlos ein halbes Jahr ausharren können.“

Als „bizarres Denkmal der Apokalypse“ bezeichnet der serbische Künstler Branislav Dimitrijević das unterirdische Labyrinth. Als Vorkehrung für „eine Atomkatastrophe, die nie geschah“ sei die ungeheure Milliardeninvestition in Bosniens Berge gegraben worden.

Eine Künstlerinitiative der Nachfolgestaaten des verschwundenen Vielvölkerstaats will den nutzlos gewordenen Bunker nun als Musentempel nutzen. Unter bosnischer Leitung und Schirmherrschaft des Europarats soll in dem Monument des Kalten Kriegs im nächsten Mai eine grenzüberschreitende „Kunst-Biennale“ über die Bühne gehen: Die Initiative soll die durch die Jugoslawien-Kriege der 90er-Jahre unterbrochene Tradition der „Jugoslavenska Documenta“ neu beleben.

Größte Anlage Europas

Noch ziert indes nur das Bildnis des 1980 verstorbenen „Marschalls“ mit der mächtigen Hornbrille die kahlen Bunkerwände. Die Tito-Portraits in den unzähligen Büros, Schreibkammern und Konferenzsälen seien auch nach dem Zerfall Jugoslawiens stets an ihrem Platz geblieben, beteuert Bunkerhüter Gakić: „Wir nehmen sie nur zum Abstauben herunter.“ 200 Meter unter der Erde blitzen polierte Notstromaggregate, Umluftventilatoren, Treibstofftanks und Wasserpumpen fast wie neu im Neonröhren-Licht. Die Technik des Atombunkers sei noch immer „voll funktionsfähig“, versichert der 38-Jährige, während er mit einem Kippschalter das gewaltige Gebläse laut rumpelnd in Bewegung setzt. Das Einzige, was sich geändert hat, sind die Landesflaggen: Die jugoslawischen Fahnen mit dem Roten Stern sind mittlerweile durch die gelb-blauen Banner von Bosnien-Herzegowina ersetzt.

Während zu Friedenszeiten 16 Soldaten unter strenger Geheimhaltung für Sicherheit sorgten, sind es heute nur noch vier. Sie lotsen fast täglich Militärs und Besucher durch eine der größten Bunkeranlagen Europas. Doch ihr Arbeitgeber hat längst die Lust an seiner ebenso kostspieligen wie nutzlosen Untergrund-Immobilie verloren. Nach der Biennale soll der Bunker gänzlich in den Besitz der Gemeinde übergehen – und Titos letztes Geheimnis auch für die breite Öffentlichkeit gelüftet werden.

Keimzelle für moderne Kunst?

So richtig weiß die Stadt aber noch nicht, was sie mit dem künftigen Besitz anstellen soll. Die Biennale-Aktivisten hoffen, dass der Bunker zur Keimzelle eines Museums für Moderne Kunst werde. „Wir wollen, dass das Bewusstsein über das sozialistische Zeitalter nicht im schwarzen Loch verschwindet,“ sagt Dimitrijević.

Mit der bevorstehenden Übergabe des Bunkers hat auch dessen letzter Hüter seinen unterirdischen Posten bald zu räumen. Wehmut verspüre er aber keineswegs, versichert der Feldwebel: „Auf meinem neuen Posten habe ich sicherlich ein weniger großes Arbeitsfeld als hier.“

AUF EINEN BLICK

www.ark-d0.infoZwischen 1953 und 1979 ließ Jugoslawiens Staatschef Tito in der Nähe der bosnischen Stadt Konjic um rund 2,6 Mrd. Dollar einen 6500 m2 großen Bunker für den Fall eines Atomkriegs anlegen, der 350 Menschen Platz geboten hätte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.07.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.