Stuttgart 21: Verwirrung über angeblichen Baustopp

Stuttgart Baustopp waehrend Verhandlungen
Stuttgart Baustopp waehrend Verhandlungen(c) REUTERS (MICHAEL DALDER)
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Der Schlichter im Streit um das Bahnhofsprojekt, Ex-CDU-Chef Geißler, hatte einen Baustopp bis Weihnachten versprochen, Ministerpräsident Mappus widerspricht. "Wir kennen keinen Baustopp", sagt auch der Bahnchef.

Verwirrung um einen angeblichen Baustopp für das Millarden-Bahnhofprojekt "Stuttgart 21": Nachdem der als Vermittler eingesetzte frühere CDU-Generalsekretär Heiner Geißler überraschend einen Baustopp bis zum Ende der Verhandlungen angekündigt hat, rudern der baden-württembergische Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) und Bahnchef Rüdiger Grube zurück: "Es gibt keinen Baustopp", sagte Mappus, und Grube stimmte ein: "Wir kennen keinen Baustopp".

Grube sagte, er habe mit Geißler nur ein einziges Mal telefoniert, und dabei sei es nicht um Inhaltliches gegangen. Geißler hatte am Donnerstag gegenüber der "Süddeutschen Zeitung" verkündet, dass während der Verhandlungen - beginnend mit nächster Woche und bis Weihnachten - ein Baustopp mit Mappus, Grube und dem Grünen-Landesfraktionschef Winfried Kretschmann vereinbart sei.

Baustopp "etwas missverständlich"

Auch nach den Dementi von Mappus und Grube beharrte Geißler darauf, dass sich alle Seiten auf eine Unterbrechung der Arbeiten geeinigt hätten. "In dieser Frage bestand völlige Übereinkunft, dass für die Zeit der Schlichtungsgespräche völlige Friedenspflicht herrscht", sagte Geißler im SWR-Fernsehen. "Ob Sie das Baustopp nennen oder nicht, ist mir völlig egal." Er wolle keine Trickserei.

Mappus und Grube nannten die von Geißler zunächst verwendete Formulierung "vorläufiger Baustopp" dagegen "etwas missverständlich". Es werde aber wie angekündigt dabei bleiben, dass es bis auf weiteres keine Fällarbeiten im Schlossgarten und keinen Abriss des Südflügels des Hauptbahnhofs geben werde, erklärten Mappus und Grube am Donnerstagabend in einer gemeinsamen Mitteilung. Dies sei mit dem als Vermittler tätigen CDU-Politiker Heiner Geißler so besprochen worden und ein Signal des Entgegenkommens, um Gespräche möglich zu machen.

Die Deutsche Bahn darf auf dem Stuttgart-21-Gelände vorerst keine Bäume mehr fällen, weil dort seltene Tiere leben. Die DB Projektbau müsse erst einen Plan zum Schutz von Juchtenkäfern und Fledermäusen im Mittleren Schlossgarten vorlegen, verfügte das Eisenbahnbundesamt. Bei Zuwiderhandlung droht ein Zwangsgeld von 250.000 Euro, erfuhr die dpa.

Kaum Chancen auf Kompromiss?

Geißlers Vermittlung im Konflikt steht damit kurz nach dem Auftakt schon vor dem Ende. Denn der erfahrene Schlichter in Tarifkonflikten hatte erklärt, während der Vermittlung herrsche "Friedenspflicht". "Es dürfen kein vollendeten Tatsachen geschaffen werden, während wir verhandeln", sagte Geißler. Er fügte hinzu: "Wenn einer nicht einverstanden ist, dann ist die Veranstaltung beendet." Er werde sich nicht für eine "Alibi-Veranstaltung" hergeben.

Geißler sagte: "Ziel der Gespräche kann nicht sein, dass ausgestiegen wird." Es müsse ein ergebnisoffener Dialog sein. Ende der nächsten Woche will er Gegner und Befürworter erstmals an einen Tisch bringen - diese müssten ohne Bedingungen dazu bereit sein. "Alle Fakten, Zahlen und Einschätzungen müssen zur Sprache kommen und gegeneinander abgeglichen werden." Die Schlichtung müsse dazu dienen, dass die Bürger wieder mehr Vertrauen in die Handelnden erhielten. "Wir haben einen Glaubwürdigkeitsverlust. Der ist darauf zurückzuführen, dass die Leute den Eindruck haben, dass Argumente zurückgehalten werden oder nicht klar genug geäußert werden können." Gegner und Befürworter müssten sich gegenseitig ernst nehmen.

Angesichts der verhärteten Fronten gibt der Berliner Protestforscher Dieter Rucht dem Schlichtungsversuch kaum eine Chance. Er sehe nur Kompromissmöglichkeiten für nachgeordnete Fragen, wie die Gestaltung der freiwerdenden Fläche oder zu sparende Kosten. Die Grundsatzfrage "Über oder unter Tage?" lasse sich aber nicht durch einen Kompromiss entscheiden, sagte er. "Daran scheitert es vermutlich. Ich sehe nicht, wie man am Verhandlungstisch weiter kommen könnte."

Erst am Mittwoch eingesetzt

Baden-Württembergs Ministerpräsident Mappus hatte am Mittwoch Geißler als Vermittler vorgeschlagen. Die Gegner des Bahnprojekts sowie die Opposition im Bundestag fordern jedoch vor Vermittlungsgesprächen einen sofortigen Stopp der Bauarbeiten, bei der der Stuttgarter Kopfbahnhof in einem Milliardenprojekt zu einem unterirdischen Durchgangsbahnhof umgebaut werden soll.

Im baden-württembergischen Landtag musste Verkehrsministerin Tanja Gönner (CDU) am Donnerstag bei einer mündlichen Anfrage die Baumfällarbeiten im Schlossgarten in der vergangenen Woche verteidigen. Insbesondere die Grünen zweifeln die Rechtmäßigkeit der Abholzung an, da dem Eisenbahnbundesamt kein Ausführungsplan vorgelegt worden sei. Gönner sagte, dass eine Zustimmung des Eisenbahnbundesamtes zur Baumfällung nicht nötig gewesen sei. Alle Abwägungen seien so getroffen worden, dass die Aktion rechtens war.

Ausstieg per Volksabstimmung möglich

Eine landesweite Volksabstimmung über das Bahnprojekt wäre nach einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags doch zulässig. "Ein einseitiger Ausstieg vonseiten des Landes Baden- Württemberg aus dem Projekt "Stuttgart 21" verstieße nicht gegen bundesrechtliche Bindungen", heißt es in der Expertise. Zwar habe sich das Land vertraglich zur Realisierung des Plans verpflichtet. "Sollten aber ein Festhalten an dem Vorhaben den Frieden in der Region nachhaltig stören und das Vertrauen der Bevölkerung in den Staat und seine Institutionen bleibend beschädigen, könnte eine Kündigung des Vertrages (...) in Betracht kommen."

Ein Gesetz zum Ausstieg aus dem Projekt könne auch durch eine Volksabstimmung beschlossen werden, heißt es in dem Gutachten, das der baden-württembergische SPD-Bundestagsabgeordnete Peter Friedrich in Auftrag gegeben hatte. Dies widerspricht dem Gutachten des Verfassungsjuristen Paul Kirchhof. Dieser hatte erklärt, für den Bau von Bahnstrecken sei der Bund und nicht das Land zuständig. Kirchhof hatte die Zulässigkeit eines von der SPD gewünschten Plebiszits im Auftrag von Mappus untersucht.

Demo pro "Stuttgart 21"

Unterdessen haben am Donnerstagabend mehrere tausend "Stuttgart-21"-Befürworter für das umstrittene Bahnprojekt demonstriert. "Wir sind Stuttgart 21!" und "Weiterbauen!" skandierten sie bei ihrem "5. Laufen für Stuttgart" auf dem Marktplatz der Landeshauptstadt. Nach Polizeiangaben kamen 4000 Menschen zusammen.

Organisator Steffen Kauderer mahnte: "Der Wahlkampf hat begonnen, aber dies darf nicht Thema des Wahlkampfes sein." Die Eskalation bei der Demonstration gegen das Bauprojekt vor einer Woche habe der Stadt geschadet, sagte Kauderer. "Aber niemand macht mal deutlich, dass die Polizei zuvor vier Stunden lang friedlich versucht hat, die öffentlichen Plätze zu räumen." In Baden-Württemberg stehen im März 2011 Landtagswahlen an.

(APA)

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