Krank durchs Krankenhaus – EU schlägt Alarm

(c) Www.BilderBox.com (Www.BilderBox.com)
  • Drucken

Etwa 4,1 Millionen Europäer fangen sich alljährlich gefährliche Keime in Spitälern ein. 37.000 sterben. Details und Beweise sind aber schwierig zu finden. Ein Aktionsprogramm soll die Patientensicherheit erhöhen.

Brüssel/Wien. Jede zehnte Behandlung in einem europäischen Krankenhaus ist fehlerhaft. 4,1 Millionen Menschen infizieren sich pro Jahr an gefährlichen Krankenhauskeimen. 37.000 davon sterben. Da schrillen die Alarmglocken, nicht nur bei EU-Gesundheitskommissar John Dalli. Der aus Malta stammende Politiker drängt daher auf eine europaweite Erfassung der medizinischen Behandlungsfehler, eine Erleichterung von Klagen und eine besseren Entschädigung von Betroffenen.

Hohe Folgekosten reduzieren

Wenn das so einfach wäre: Dallis Zahlen basieren nämlich nicht auf konkreten Fällen. Sie sind eine Hochrechnung und Schätzung, wenn auch wissenschaftlich korrekt erstellt und fundiert. Aufgrund zahlreicher Untersuchungen innerhalb der EU geht man davon aus, dass die Rate der durch ein Spital verursachten Zwischenfälle mit Patienten je nach Land zwischen 7,5 und 16,6 Prozent liegt. Die EU-Kommission erstellte daher eine Folgenabschätzung: Reduziert man die Fälle der Krankenhausinfektionen nur um fünf Prozent oder um 225.000 pro Jahr, spart man sich 274 Millionen Euro an zusätzlichen Behandlungskosten. Außerdem würde die Produktivität, heißt es in einem der „Presse“ vorliegenden Papier, um 68,5 Millionen Euro erhöht.

Das Problem dabei ist die Schuldfrage. Oft ist nämlich nicht so einfach beweisbar, ob und dass sich eine Infektion zum Beispiel durch die ungewaschenen Hände eines Arztes gebildet hat. Und es ist auch nicht immer klar festzustellen, dass ein multimorbider Patient letztlich an Sepsis und nicht an einer seiner vielen anderen Krankheiten gestorben ist.

Das zeigt auch eine Studie, die Peter Gausmann, Geschäftsführer der Gesellschaft für Risikoberatung, mit Petra Gastmeier vom „Referenzzentrum für nosokomiale Infektion“ an der Berliner Charité erstellt hat. Demnach kam es bei 17 Millionen Krankenhausbehandlungen zu 500.000 Infektionen. 150.000 davon wären vermeidbar gewesen. Die häufigsten, nämlich 48 Prozent, betrafen Harnwegsinfekte, 21 Prozent Atemwegsinfektionen, 16 Prozent Wundinfektionen, acht Prozent Sepsis. Der Rest verteilte sich auf andere Krankheiten.

Gausmann, der als Risikoberater von Spitälern und Versicherungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz arbeitet, trug im Laufe der Zeit aber auch eine ansehnliche Datenbank von konkret abgewickelten Schadensfällen zusammen. Und er schaute sich an, wie viele Probleme es im Laufe von zehn Jahren in 250 Spitälern gegeben hat, die seine Versicherer betreut haben. Dabei kam er auf 230.000 vermeidbare Infektionen. „Aber nur 92 davon wurden zu einem eingeklagten Schadensfall“, erzählt Gausmann der „Presse“.

Entschädigen statt Strafen

Da setzt auch Gerald Bachinger, der Sprecher aller österreichischen Patientenanwälte, an. Er will eine Lockerung der strafrechtlichen Verurteilung diskutieren, obwohl auch er in Österreich bis zu 2500 vermeidbare Todesfälle im stationären Bereich pro Jahr für möglich hält. Es existiert zwar bereits ein Privileg für alle Gesundheitsberufe, die leichte Fahrlässigkeit bis zu einer 14-tägigen Gesundheitsschädigung straffrei stellt. Bachinger will dies aber massiv ausweiten: „Aus meiner Sicht könnte man bis zu schwerer Körperverletzung gehen.“ Dafür müsse der zivilrechtliche Bereich gestärkt und auch eine verschuldensunabhängige Entschädigung forciert werden. Man geht davon aus, dass derzeit aus Angst vor Strafen Fehler oft nicht angezeigt werden und man sie deshalb auch beim nächsten Mal nicht vermeiden kann.

All diese Zahlen sollten aber nicht zu Hysterie führen. Gausmann: „Ich würde mich in jedem Krankenhaus in Österreich und Deutschland behandeln lassen.“ Man müsse zwar an Verbesserungen arbeiten, darf sich das System aber nicht schlechtreden lassen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11. Jänner 2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.