Schweiz: Kampf ums Sturmgewehr im Schrank

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Am Sonntag stimmt das Volk über die „Initiative zum Schutz vor Waffengewalt“ ab. Die Befürworter des Volksbegehrens wollen Gewalttaten verhindern. 300 Menschen pro Jahr sterben in der Schweiz durch Schusswaffen.

Bern. Immer wieder erschüttern Bluttaten, die mit Schusswaffen begangen werden, die Schweiz. 2001 stürmt ein Mann ins Kantonsparlament in Zug und tötet 14 Menschen. 2006 werden die ehemalige Skirennfahrerin Corinne Rey-Bellet und ihr Bruder von ihrem Ehemann erschossen und 2007 tötet ein junger Rekrut an einer Zürcher Bushaltestelle völlig grundlos eine Teenagerin. Oft setzen Menschen in der Schweiz mit der Schusswaffe auch dem eigenen Leben ein Ende: Laut Angaben der „Schweizerischen Ärztezeitung“ werden in der Schweiz dreimal so viele Suizide gezählt, die mit einer Schusswaffe begangen werden, als in anderen europäischen Ländern.

300 Menschen pro Jahr sterben in der Schweiz durch Schusswaffen. Diese sind leicht verfügbar, denn in jedem dritten Haushalt lagert mindestens eine Waffe. Insgesamt werden die Schusswaffen in den Privathäusern auf zwei Millionen geschätzt, darunter viele Armeewaffen, die aktive und ehemalige Milizsoldaten aufbewahren.

Armeewaffen ins Zeughaus

Am Sonntag werden die Schweizer über ein „Waffenschutz-Volksbegehren“ abstimmen. Die Initiatoren, ein breites Bündnis aus Linksparteien, Friedensbewegungen, Frauenverbänden und Menschenrechtsgruppen, wollen die Zahl der frei zirkulierenden Waffen verringern. Künftig soll nur noch eine Waffe erwerben können, wer einen Bedarfs- und Befähigungsnachweis erbringt; Armeewaffen sollen ins Zeughaus verbannt werden. Je weniger Waffen vorhanden seien, desto weniger würden damit Gewalttaten verübt, argumentiert die sozialdemokratische Nationalratsabgeordnete Evi Allemann. Unterstützt werden die Befürworter der Initiative durch entsprechende Studien. Der Zürcher Strafrechtsexperte und Kriminologe Martin Killias, der die Mordfälle der letzten 20 Jahre in der Schweiz untersucht hat, betont, es bestehe ein eindeutiger Zusammenhang zwischen der Verfügbarkeit und dem Einsatz einer Schusswaffe.

Teil der Schweizer Identität

„Waffen sind dort gefährlich, wo sie sich befinden“, sagt Killias. Wenn Waffen im Haushalt vorhanden seien, würden sie auch dort verwendet. Für Killias ist es kein Zufall, dass die Schweiz bei den sogenannten „erweiterten Suiziden“, bei denen ein Täter seine Angehörigen und anschließend sich selbst tötet, die Schweiz europaweit einen traurigen Spitzenplatz einnimmt. Denn bei diesen Gewalttaten kämen besonders oft Schusswaffen zur Anwendung.

Nichts von solchen Argumenten wissen wollen die Gegner der Waffenschutz-Initiative, zu denen die Regierung, bürgerliche Parteien sowie Offiziersgesellschaften, Jäger und Schützenverbände gehören. In den letzten Jahren sei nicht zuletzt durch den Schengen-Beitritt der Schweiz das liberale Waffenrecht mehrfach verschärft worden, betont die Regierung. Zudem werde den Soldaten zwar noch das Gewehr, aber keine Munition mehr nach Hause mitgegeben und die Rekruten würden strenger als früher überprüft, ob sie für die Aufbewahrung einer Waffe geeignet seien.

Die Waffenschutz-Initiative bringe nicht mehr Sicherheit, sagt Verteidigungsminister Ueli Maurer, der der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei angehört. Viele Gegner des Volksbegehrens sehen auch die Schweizer Armee in Gefahr. Denn es gehörte lange zum Konzept der eidgenössischen Milizarmee, dass die Soldaten im Fall einer Mobilmachung möglichst rasch einrücken und sich notfalls mit ihrem eigenen Gewehr durch besetztes Gebiet zum Sammelplatz durchkämpfen können. Zudem sind die Soldaten bis heute verpflichtet, mit dem persönlichen Gewehr regelmäßig Schießübungen zu absolvieren. Auch nicht mehr aktive Soldaten dürfen die Armeewaffe behalten. Zwar räumen auch Militärexperten ein, dass seit dem Ende des Kalten Krieges das Sturmgewehr im häuslichen Kleiderschrank für die Landesverteidigung nicht mehr notwendig sei. Was jedoch bleibt, ist die identitätsstiftende Tradition der „Wehrhaftigkeit“.

Emotionale Debatten

Die „Volksbewaffnung“ galt als Garantie der Unabhängigkeit des kleinen Alpenlandes. Mancherorts durften sogar Männer nur heiraten, wenn sie eine Waffe besaßen. Noch heute gelten das liberale Waffenrecht und die Abgabe der Armeewaffe an die Soldaten als Zeichen des Vertrauens der Eidgenossenschaft in ihre Bürger.

Der Abstimmungskampf ist äußerst emotional, was auch auf den Plakaten sichtbar wird. Die Befürworter der Waffenschutz-Initiative werben mit einem erschossenen Teddybären für mehr Sicherheit in Familien. Die Gegner hingegen warnen mit zerdrückten Lampions mit einem Schweizerkreuz vor dem Verlust alter Werte und Traditionen.

Wer beim Urnengang als Sieger hervorgehen wird, ist offen. Zwar befürwortet laut Umfragen die Mehrheit der Bevölkerung den Waffenschutz, doch zuletzt holten die Gegner auf. Am Sonntag entscheiden die Schweizer, was für sie mehr wiegt: die Tradition eines bewaffneten und „wehrhaften“ Volkes oder die Gefahr, die von Schusswaffen in Privathaushalten ausgeht.

Auf einen Blick

Die Waffenschutz-Initiative erregt die Gemüter in der Schweiz. Kernforderungen der Initiative, über die die Eidgenossen am 13. Februar abstimmen, sind die Einführung eines zentralen Waffenregisters, der Nachweis zur Befähigung im Umgang mit Waffen und die Verbannung der Armeewaffen aus den heimischen vier Wänden.

Eine breite Koalition aus kirchlichen Organisationen, Friedens- und Menschenrechtsorganisationen, Frauen und Gewerkschaften lancierte die Initiative. Politische Unterstützung findet sie im linken Lager. Waffen sind in der Schweiz keine Mangelware: Etwa 1,2 bis zwei Millionen Schweizer besitzen eine Schusswaffe.

Neben den Beständen von Jägern, Sammlern oder Sportschützen darf jeder Soldat seine Dienstwaffe während der Dienstzeit in der Milizarmee zu Hause aufbewahren.

Laut Meinungsumfragen liegen die Befürworter der Initiative dank der weiblichen Bevölkerung vorn: Zwei Drittel der befragten Frauen und 44 Prozent der Männer sprachen sich dafür aus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11. Februar 2011)

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