Mächtige Flüchtlingswelle aus Tunesien erreicht Europa

Mächtige Flüchtlingswelle aus Tunesien erreicht Europa
Mächtige Flüchtlingswelle aus Tunesien erreicht Europa(c) EPA (Ciro Fusco)
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In den vergangenen Tagen landeten mehr als 4000 Flüchtlinge auf der Insel Lampedusa südlich Siziliens, die meisten sind Tunesier. Wegen der Lage in Nordafrika wird ein Anschwellen des Flüchtlingsstroms erwartet.

Rom. Das Meer ist glatt und still dieser Tage, ein stabiles Hoch liegt über Südeuropa. Still sollte es auch auf Lampedusa zu dieser Jahreszeit sein, die meisten Hotels auf dem Eiland zwischen Sizilien und Nordafrika sind geschlossen – normalerweise. Seit Tagen aber ist es mit der Ruhe vorbei: Die unsichere Lage in Nordafrika hat zu einer neuen Flüchtlingswelle über das Meer nach Italien geführt.

Mindestens 4000 Menschen strandeten in den vergangenen Tagen auf Lampedusa oder wurden von Italiens Küstenwache dorthin gebracht. Allein in der Nacht auf Sonntag waren es etwa 1000, von einem „Exodus biblischen Ausmaßes“ sprach Bürgermeister Bernardino De Rubeis. Die meisten sind Tunesier. Ein Boot kenterte am Samstag, mindestens ein Passagier ertrank. Hunderte weitere warten in der tunesischen Hafenstadt Zarzis, um auf überfüllten Barken die Überfahrt anzutreten. Der Preis, den die Schlepper für die rund 150 Kilometer verlangen, liegt derzeit bei rund tausend Dollar pro Person.

„Humanitärer Notstand“ erklärt

Die Regierung in Rom reagierte auf ihre Art: Am Samstag rief sie den „humanitären Notstand“ aus und ernannte einen „Sonderkommissar“. Schon am Freitag hatte Rom auch die EU um Hilfe gebeten, Außenminister Franco Frattini forderte die EU auf, Einheiten der Grenzschutzagentur Frontex zu schicken, Innenminister Roberto Maroni von der xenophoben Lega Nord warnte vor dem „Sicherheitsrisiko“ durch Terroristen, die so Europa erreichen könnten. Das vor zwei Jahren geschlossene Auffanglager auf Lampedusa wieder zu öffnen, lehnt er strikt ab – aus politischen Gründen. Lampedusas Bürgermeister De Rubeis, Mitglied der „Autonomiebewegung für Sizilien“ (MPA), erklärt es so: „Eine Wiederöffnung könnte als Einladung für weitere Flüchtlinge missverstanden werden.“

Das Lager war geschlossen worden, nachdem Italien einen „Freundschaftsvertrag“ mit Libyen geschlossen hatte. Seither patrouillieren Schiffe mit italienisch-libyschen Crews vor der libyschen Küste, und die Zahl der Bootsflüchtlinge sank fast auf null. Die Regierung Berlusconi betrachtet das als einen ihrer großen Erfolge.

Stattdessen werden die erschöpften Ankommenden nur notdürftig versorgt, einige kommen in Hotels und Pfarren unter, viele aber übernachten am Hafen im Freien, ehe sie mit Schiffen und Flugzeugen in Lager in Süditalien gebracht werden. Die meisten dort sind aber schon überfüllt, die Zustände prekär.

Keine Kontrolle in den Häfen

Auf Sizilien will das Rote Kreuz eine Zeltstadt errichten, denn vermutlich werden in den nächsten Wochen noch mehr Menschen kommen, vielleicht auch aus Ägypten. In Tunesien, so berichten Flüchtlinge, werde seit dem Sturz der Regierung in den Häfen kaum noch kontrolliert, der Vertrag über die Rückführung von Flüchtlingen mit Italien ist praktisch ausgesetzt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14. Februar 2011)

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