Lampedusa: Mehr als 700 Flüchtlinge in 48 Stunden

(c) AP (Carmelo Imbesi)
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Angst vor dem Massenexodus. Vor allem Tunesier kommen per Boot auf die italienische Felseninsel. Die meisten sind Wirtschaftsflüchtlinge. Das Lager auf Lampedusa dürfen sie nicht verlassen.

Lampedusa. Nach einer längeren Pause sind auf der Mittelmeerinsel Lampedusa in den vergangenen beiden Tagen wieder mindestens 700 Flüchtlinge aus Tunesien gelandet. Alle paar Stunden schleppen die italienische Küstenwacht und die Finanzpolizei die armseligen Boote in den Hafen des kleinen gleichnamigen Hauptortes der Insel. Die kleinsten der Boote sind kaum vier Meter lang. Die ersten 350 Flüchtlinge kamen noch bei stürmischer See und widrigen Wetterbedingungen in der Nacht auf Mittwoch auf einem größeren Holzkahn, seither aber hat sich das Wetter beruhigt.

Die italienischen Einsatzkräfte auf der Insel sind deshalb wieder rund um die Uhr in Bereitschaft. Wird ein Boot von den patrouillierenden Flugzeugen gesichtet, wird dessen Position durchgegeben, und Schnellboote der Küstenwacht und der Finanzpolizei laufen aus, um es in den Hafen zu eskortieren. An Bord sind auch Ärzte des Malteserordens und Mitarbeiter von Menschenrechtsorganisationen, um bei Bedarf sofort Erste Hilfe zu leisten.

An einer speziellen Mole im Hafen, die Militärsperrgebiet ist, werden die Flüchtlinge sofort in einen Bus verfrachtet und in das Auffanglager der Insel gebracht, das in einer kleinen Schlucht etwas außerhalb des Ortes liegt. Donnerstagmittag hielten sich dort wieder knapp 600 überwiegend junge Tunesier auf, nachdem in der Nacht weitere vier Boote mit über 200 Menschen an Bord angekommen waren. Das 2007 errichtete Lager ist modern und verfügt über alle notwendigen medizinischen und sanitären Einrichtungen, neben italienischen Ärzten arbeiten derzeit dort auch Mitarbeiter des UN-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR), der Internationalen Organisation für Migration (IOM), des italienischen Roten Kreuzes und der Hilfsorganisation „Save The Children“.

Nach Sizilien und Süditalien verlegt

Noch bestand kein Anlass, bereits wieder von einer Notsituation zu sprechen, denn das Lager kann 850 Menschen aufnehmen. „Die Situation ist derzeit unter Kontrolle und ruhig“, sagte Federica Bertolin von „Save The Children“ zur „Presse“. „Doch das kann sich rasch wieder ändern.“ Entscheidend sei auch, dass die Behörden dafür sorgten, dass die Neuankömmlinge nach wenigen Tagen auf andere Lager auf Sizilien und in Süditalien verteilt würden.

Die letzten Flüchtlinge, die mit der ersten Welle Mitte Februar angekommen waren, wurden am Mittwoch weggebracht, sodass es derzeit noch genug Platz für die neu Ankommenden gibt. Seit zwei Tagen dürfen sie das Lager, anders als in den vergangenen Wochen, nicht mehr verlassen. Bürgermeister Bernardino De Rubeis verfügte außerdem, dass im Freien nicht mehr „biwakiert“ werden dürfe. Gegen ihn wurde deshalb Anzeige wegen Anstachelung zum Rassenhass erstattet, ein Vorwurf, den er vehement zurückweist.

Nach übereinstimmender Auskunft der im Lager arbeitenden humanitären Helfer handelt es sich bei den meisten wohl um Wirtschaftsflüchtlinge, die hoffen, nach Frankreich oder in andere EU-Länder weiterreisen zu können, und das sagen die jungen Männer auch selbst. Anders als noch vor drei Jahren, als überwiegend Flüchtlinge aus weiter südlich gelegenen afrikanischen Ländern kamen, sind die jungen Tunesier nach der Überfahrt nicht so entkräftet und in gesundheitlich weit besserem Zustand. Libyer wurden bisher nicht identifiziert, doch haben viele keine gültigen Papiere. Dabei helfen jetzt auch Experten der Grenzschutzagentur Frontex aus sechs EU-Ländern.

300.000 weitere Flüchtlinge?

Die Regierung in Rom indessen schürt weiterhin kräftig die Ängste vor einem „biblischen Exodus“ aus Nordafrika, der unmittelbar bevorstehe, wie es Innenminister Roberto Maroni von der Lega Nord formuliert. Mitte Februar waren fast 5000 Tunesier auf Lampedusa angekommen, das seit zwei Jahren geschlossene Auffanglager musste wieder geöffnet werden. 400 haben bisher Asyl beantragt, Maroni rechnet mit 200.000 bis 300.000 weiteren Flüchtlingen aus Nordafrika.

Bisher aber haben Libyen vor allem Wanderarbeiter aus den arabischen Nachbarländern und asiatischen Staaten verlassen, und sie wollen nur eines: in ihre Heimatländer zurückkehren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.03.2011)

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