Lebensmittel Jahrzehnte nach Katastrophe verstrahlt

Lebensmittel Jahrzehnte nach Katastrophe
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25 Jahre nach Tschernobyl sind in vielen EU-Staaten Produkte immer noch belastet. Über die Folgen in Japan wollen Experten noch keine Prognosen abgeben, Greenpeace warnt aber vor Konsum von Polardorsch.

Viele Europäer werden durch die japanische Atomkatastrophe in jene dramatischen Frühlingstage vor 25Jahren zurückversetzt – als Ende April 1986 der Reaktorblock4 des ukrainischen AKWs Tschernobyl in die Luft ging. Durch den Unfall und seine verheerenden Folgen wurden viele plötzlich mit den Risiken konfrontiert, die von der Nuklearkraft ausgehen – auch in Gebieten, die hunderte Kilometer vom Katastrophenort entfernt waren.

Dramatische gesundheitsschädliche Folgen hatte – und hat – der Atomunfall auf Lebensmittel. Giftige radioaktive Substanzen werden ja nicht nur durch Atmung, sondern auch durch Nahrung aufgenommen. Heute noch sind die Auswirkungen der ukrainischen Nuklearkatastrophe bei Tieren und Pflanzen, die von Menschen verzehrt werden, nachprüfbar. Sogar innerhalb der EU: Untersuchungen ergaben, dass Wildtiere und Pilze in vielen EU-Staaten auch noch mehr als 20Jahre nach Tschernobyl belastet sind.

Laut einem Bericht der EU-Kommission vom Jahre 2005 wurden in Wildfleisch (vor allem Wildschwein), in wild wachsenden Beeren, Wildpilzen aus bestimmten Regionen in Deutschland, Österreich, Italien, Schweden, Finnland, Litauen und Polen eine sehr hohe Strahlenbelastung gemessen. „In den kommenden Jahrzehnten ist mit keinen nennenswerten Veränderungen bei der Kontamination bestimmter Produkte mit radioaktivem Cäsium zu rechnen“, hieß es.

Keine frischen Nahrungsmittel

Giftige radioaktive Substanzen können nach einem Atomunfall in den Boden gelangen – verstärkt, wenn es regnet. Deshalb müssen unmittelbar nach dem Atomunfall vor allem frische Lebensmittel, die offen angebaut werden, oder Fleisch und frische Milch aus der betroffenen Gegend vermieden werden, so Alexander Becherer, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Nuklearmedizin. Menschen in Katastrophengebieten sollten auf Konserven zurückgreifen: „Eine Infektion mit Radioaktivität von Nahrungsmittelkonserven ist nicht möglich.“ Auch nicht, wenn man sie verschlossen hoher Strahlung aussetzte.

Über das Risiko von Lebensmitteln rund um den japanischen Reaktor Fukushima wollen Experten noch keine Prognosen abgeben. „Die Folgen für die Umwelt sind im Moment nicht abschätzbar. Es gibt keine Information darüber, wie stark der Bereich, wo das Wasser im Reaktor hingeleitet wird, kontaminiert ist. Man wird später Proben nehmen müssen, um das zu beurteilen“, sagt der Strahlenbiologe Wolfgang-Ulrich Müller der Uniklinik Essen.

Auch Steffen Nichtenberger von Greenpeace betont, dass es zu früh für Prognosen über mögliche Auswirkungen auf die Lebensmittelproduktion sei. „Ich würde aber davon abraten, ab den nächsten Tagen Polardorsch aus dem Pazifik (meist in Fischstäbchen enthalten) zu kaufen“, sagt er zur „Presse“. Schließlich sei davon auszugehen, dass hochgiftiges Strahlenmaterial ins Meer gelangt ist. Nichtenberger hofft, dass es demnächst zu Messungen dieser Produkte kommen wird. Auch sollten seiner Meinung nach Japaner jetzt so weit wie möglich auf frische Produkte aus der Gegend verzichten. Abzuraten sei vor allem von Milch.

Kein Grund für Panik-Boykott

Doch auch im Worst-Case-Szenario gibt es derzeit keinen Grund, japanische Produkte zu boykottieren: Nach Österreich kommen lediglich kleine Spezialimporte, wie getrocknete Früchte oder Pilze. Und da der Transport in fast allen Fällen über Schiff erfolgt und Tage dauert, sind alle japanischen Lebensmittel, die derzeit in Österreich erhältlich sind, unverseucht.

Das Gesundheitsministerium in Wien versucht zu beruhigen. Und weist darauf hin, dass man „die Lage genau beobachtet“.

Zudem hat die Europäische Union die Möglichkeit, Schutzklauseln zu erlassen – diese sind dann sofort in allen EU-Staaten gültig. Vorgesehen sind unter anderem Kontrollen der Lebensmittel aus den betroffenen Gebieten: So wird auch heute noch jede Pilzlieferung aus der Ukraine zu 100 Prozent überprüft. basta., APA, dpa

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.03.2011)

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