Lampedusa: 370 Migranten auf gekentertem Boot?

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ITALY MIGRATION LAMPEDUSA(c) EPA (Ettore Ferrari)
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Küstenwache und Fischer konnten 50 Überlebende retten, 20 Tote wurden geborgen. An Bord könnten bis zu 370 Flüchtlinge gewesen sein.

Im Mittelmeer ist es am Mittwoch zu einer neuen Flüchtlingstragödie gekommen: Ein Boot mit Migranten ist in der Nacht auf Mittwoch 39 Seemeilen von der italienischen Insel Lampedusa entfernt in Seenot geraten und gekentert. Nach Angaben italienischer Medien waren 200 Menschen an Bord, andere Angaben belaufen sich auf bis zu 370.

Mindestens 150 Personen gelten nun als vermisst. 20 Leichen wurden bereits geborgen. Wegen der rauen See kippte das Boot um. Motorboote der italienischen Küstenwache, die zur Hilfe eilten, konnten 47 Überlebende in Sicherheit bringen. Drei Schiffbrüchige konnten sich auf ein Fischerboot retten.

Das 13 Meter lange Boot war von Zuwarah in Libyen abgefahren. An Bord befanden sich mehrheitlich Flüchtlinge aus Eritrea und Somalia. Die Überlebenden wurden unterkühlt und schwer geschockt nach Lampedusa gebracht und dort behandelt.

Überfahrt kostete 400 Dollar

Zu den Überlebenden zählt auch eine hochschwangere Frau. Ein Sprecher der Küstenwache berichtet, dass unter den Toten auch mehrere Kinder waren. "Es war schrecklich, überall sah man Leichen herumschwimmen, darunter auch jene vieler Kinder", sagte er.

Motorschiffe und Flugzeuge der italienischen Küstenwache setzten die Suche nach Überlebenden fort. "Wir haben noch Hoffnungen, einige Schiffbrüchige lebend zu finden", sagte ein Sprecher der Küstenwache.

400 Dollar musste jeder Flüchtling für die Horror-Fahrt in die Festung Europa zahlen. "Das Boot ist umgekippt und die meisten sind ins Wasser gestürzt. Auch meine Freundin. Viele Kinder und Frauen sind verunglückt. Ich hoffte auf ein Leben in Italien, jetzt habe ich alles verloren", berichtete der 49-jährige Kameruner Peter Hugo.

Sogar 350 Flüchtlinge an Bord?

Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migrationen haben Überlebende berichtet, dass sich sogar 350 Flüchtlinge an Bord des Schiffes befanden, Augenzeugen berichten von bis zu 370. "Dies bedeutet, dass die Zahl der Vermissten noch wesentlich höher ist", betonte ein Sprecher der Organisation. Viele Flüchtlinge seien ertrunken, weil sie nicht schwimmen konnten und Hilfe zu spät kam. Dabei sei es zu dramatischen Szenen gekommen.

Flüchtlingsstrom reißt nicht ab

Inzwischen reißt die Flüchtlingswelle nach Lampedusa nicht ab. In der Nacht auf Mittwoch trafen 354 Migranten auf Lampedusa ein, die mehrheitlich aus Tunesien, Eritrea, Ghana und Somalia stammen. Derzeit befinden sich noch 2000 Migranten auf der Insel. Seit dem Sturz von Tunesiens Machthaber Zine el-Abidine Ben Ali im Jänner sind mehr als 22.000 Migranten mit Fischerbooten auf der 5000-Einwohner-Insel angekommen. Lampedusa liegt rund 130 Kilometer von Tunesiens Küste entfernt.

Italien hat inzwischen mit Tunesien ein Abkommen zur Rückführung der tunesischen Flüchtlinge geschlossen. Damit soll die Flüchtlingswelle nach Lampedusa gestoppt werden. Außerdem wurde über gemeinsame Patrouillierungsaktionen an den tunesischen Küsten beraten, die mit der logistischen Unterstützung der italienischen Küstenwache erfolgen sollen. Italien bot auch finanzielle Hilfe an, damit Tunesien seine Küsten wirksam kontrollieren könne.

Zwangsrückführung ausgeschlossen

Die Flüchtlingstragödie löste Bestürzung in Rom aus. Der Italienische Flüchtlingsrat (CIR) warf der internationalen Gemeinschaft vor, nichts unternommen zu haben, um eine der gravierendsten Flüchtlingstragödien der letzten Jahre zu verhindern. "Wie ist es möglich, dass man in einem von internationalen Flotten patrouillierten Meer eine derartige Tragödie nicht verhindern konnte? Warum sind Schiffe nicht rechtzeitig zu Hilfe geeilt?", fragte CIR-Präsident Savino Pezzotta.

Zugleich überprüft die Regierung Berlusconi Lösungen für die rund 22.000 Tunesier, die in den letzten Wochen in Italien eingetroffen sind. Diplomatisches Personal aus Tunesien soll in Italien mit den Auffanglagern zusammenarbeiten. Eine Zwangsrückführung schloss Innenminister Roberto Maroni aus. Die italienische Regierung will den Migranten eine vorübergehende Aufenthaltsgenehmigung gewähren.

Damit sollen Tunesier, die sich Angehörigen in anderen EU-Ländern anschließen wollen, im Rahmen des Schengen-Raums weiterreisen können. Ein dementsprechendes Dekret soll von der Regierung Berlusconi verabschiedet werden.

(Ag.)

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