Big Brother ist in den Niederlanden Realität

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Die holländischen Sicherheitsbehörden zapfen mehr Telefone an als ihre Kollegen in den USA. Auf den Autobahnen ist die totale Überwachung längst Normalität. Protest dagegen regt sich so gut wie keiner.

Den haag. Wir wissen es: Die Reality-Show „Big Brother“ ist eine holländische Erfindung. John de Mol, der Bruder von Linda, hat sie sich ausgedacht. Die Seifenoper wurde zu einem Welterfolg. Viele aber wissen nicht, dass die andere Variante von Big Brother, nämlich die Orwell'sche, ebenfalls eine niederländische Erfindung ist. Mehr noch: Orwell ist in den Niederlanden schon fast Realität.

Kaum ein Winkel des rund 40.000 Quadratkilometer großen Königreichs bleibt unbeobachtet. Die Niederlande mit einer Bevölkerungsdichte von fast 500 Menschen pro Quadratkilometer sind das am dichtesten bevölkerte Land Europas. Dieses Land ist voll im Visier der staatlichen Späher.

Sie sind überall. Wer in den Niederlanden den Bahnsteig eines Bahnhofs betritt, wird von einer Überwachungskamera erfasst. Wer in Amsterdam, Den Haag oder Utrecht durch die Fußgängerzone schlendert, muss damit rechnen, vom Auge Orwells beobachtet zu werden. Egal, ob man ein Rathaus betritt oder den Rotlichtbezirk irgendwo zwischen Groningen und Maastricht, das wachende Auge des Gesetzes schaut zu. Hier werden mehr Telefone abgezapft als in den USA – und das, obwohl die USA mit rund 300 Millionen Menschen fast 20-mal mehr Einwohner zählen als die Niederlande.

„In zwei Stunden habe ich vom Richter grünes Licht, wenn ich jemanden abhören will“, berichtet ein hoher Polizeioffizier, „off the record“ natürlich. Protest gegen die zunehmende Überwachung gibt es so gut wie nicht.

Einblick in Chats und Sprachbox

Die KPN Telecom, außer in den Niederlanden auch mit ihren Mobilfunktöchtern E-Plus in Deutschland und Base in Belgien aktiv, beobachtet – pardon: überwacht – die Internetchats ihrer Kunden, die via Handy getätigt werden. Deep Packet Inspection (DPI) nennen das die KPN-Big-Brothers. DPI macht es auch möglich, den Inhalt des mobilen Chats zu kontrollieren und zu analysieren, den Aufenthaltsort des mobilen Telefonierers sowieso.

Sogar in die Sprachbox prominenter Politiker, darunter die des Premiers, kann man in den Niederlanden als cleverer Hacker leicht einbrechen, ist auch geschehen. Den Vogel aber schießen immer noch die Überwachungskameras und die beim Autofahrer so verhassten „Flitspaalen“ ab.

Auch die „Trajectcontrole“ haben die Holländer erfunden. Das ist die totale Überwachung der Autofahrer auf bestimmten Autobahnabschnitten via Videokamera. Auf fast allen Autobahnringen rund um Amsterdam, Rotterdam oder Den Haag ist die „Trajectcontrole“ heute Realität – mit der Auflage, eine Höchstgeschwindigkeit von 80 Stundenkilometern einzuhalten. Wer schneller fährt, bekommt einen Bußgeldbescheid.

Was der Bußgeldbescheid nicht enthüllt, ist, was die Beamten sonst noch via Kamera so alles gesehen haben, als der mit 84 km/h um vier Stundenkilometer zu schnell fahrende Autofahrer über die Autobahn bei Den Haag raste. Tja, was hat er da im Auto wohl noch so alles gemacht? Bei einem solchen Schneckentempo gibt es weite Betätigungsfelder.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.05.2011)

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