Ayutthaya: Ein Heim für Problemelefanten

Ayutthaya Heim fuer Problemelefanten
Ayutthaya Heim fuer Problemelefanten(c) EPA (RUNGROJ YONGRIT)
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Seit zwei Monaten steht Thailand unter Wasser. In Ayutthaya musste das größte Elefantendorf der Welt evakuiert werden. Dort hatten verhaltensauffällige Tiere ein neues Zuhause gefunden.

Omchakawan mag Rosinen und Kekse mit Vanillecreme. Wenn er mit dem Rüssel zugreift und sich das Essen ins Maul schiebt, könnte man fast meinen, der 69-Jährige sei ein gewöhnlicher Elefantenbulle. Das war er auch, jahrzehntelang. Da trottete das drei Meter hohe und fünf Tonnen schwere Tier durch den Dschungel, später durch die Städte, und ließ Touristen auf seinem Rücken reiten. Aber vor zehn Jahren rastete Omchakawan aus, rannte los – und trampelte vier Menschen tot.

Seither lebt er im Tierheim „Elephantstay“ in Ayutthaya, Thailands historischer Königsstadt, eine Autostunde nördlich von Bangkok. Auf 35 Quadratmetern breitet sich Omchakawan aus, trinkt täglich 300 Liter Wasser, frisst Unmengen an Heu und Palmwedeln, geht spazieren und badet im nahen Fluss. Hin und wieder darf er zu seinen Artgenossen. Aber sicherheitshalber bleibt er angekettet – normalerweise.

Denn jetzt wurde der „Problemelefant“ mit den anderen Tieren auf höheres Gelände gebracht, in einen Freizeitpark, um nicht den ganzen Tag im Wasser stehen zu müssen. Thailand leidet seit Wochen unter den schwersten Überschwemmungen seit 50 Jahren, in Ayutthaya ist die Situation besonders angespannt, das Wasser reicht den Elefanten teilweise bis zum Bauch. Für Omchakawan und seine Artgenossen wird nun wegen der Flut das Futter knapp, die Straßen sind kaum nutzbar, es fehlt an Geld für eine längere Versorgung außerhalb des Camps.


Trinkwasser fehlt. Weil die Wege zu dem Freizeitpark kaum passierbar sind, wird die Essensversorgung zu einer logistischen Herausforderung. Neben dem fehlenden Futter bereitet auch die Trinkwasserversorgung zunehmend Anlass zu Sorge. Vereinzelte Hilfe aus Bangkok ist zum Erliegen gekommen, seit auch dort Teile der Stadt in den Fluten versinken. Der Kölner Zoo, der fünf Elefantenkühe von dort überführt hat, stellt nach eigenen Angaben 20.000 Euro Soforthilfe zur Verfügung. Damit soll die Versorgung der Tiere zumindest für die nächsten Wochen sichergestellt werden.

Plantagenbetreiber Laithongrien Meepan ist verzweifelt, er steht zwischen den Sandsäcken und den Tieren, spricht mit Journalisten und bittet um Spenden. Auch wenn das Wasser endlich versickern sollte, schon jetzt ist absehbar, dass nach der Flut die ohnehin schon spärliche Hilfe nicht enden darf. Seit 15Jahren nimmt Laithongrien Meepan Problemtiere auf und rettet sie so vor dem Einschläfern. Zur Zeit sind es 90 Elefanten aus ganz Asien. 40 sind verhaltensauffällig, haben randaliert oder andere Tiere drangsaliert, 18 haben mindestens einen Menschen auf dem Gewissen. Der Tierschützer gibt den „Killerelefanten“ ihr Gnadenbrot. Die anderen Tiere sind arbeitslos, weil sie von Maschinen ersetzt wurden. Hier finden sie wieder eine Beschäftigung, etwa als Arbeitstiere im Dorf, einige halfen nach dem Tsunami 2004 bei der Bergung von Toten. Oder sie sind als Statisten in Filmen zu sehen, wie in Oliver Stones historischem Hollywood-Blockbuster „Alexander“.

Finanziert wird das Heim durch Spenden, Touren für Touristen und den Verkauf selbstgemachter Produkte aus Elefantendung – der gepresst, gewalzt und zu Briefbögen, Notizbüchern und Lesezeichen verarbeitet wird.

Das Führungszeugnis der 26 Jahre alten Elefantenkuh Natalie verzeichnet vier Opfer. Sie trampelte erst den Bruder ihres Ex-Besitzers nieder, dann drei Mitarbeiter der Kautschukplantage, auf der sie arbeitete. Boon Seuhm wiederum rächte sich an dem Mann, der sie zehn Jahre zuvor mit Böllern beworfen hatte, jagte ihn durchs Dorf, ergriff ihn mit dem Rüssel und schleuderte ihn in die Luft. Der Mann hatte keine Chance. Normalerweise werden solche Tiere erschossen oder vergiftet.

Die burschikose Tierpflegerin Michelle Reedy und die Fotografin Ewa Narkiewicz sind seit 2006 Direktorinnen des Heims. Beide sind kräftig, tragen ein Elefantentattoo auf dem Oberarm und haben gemeinsam ihr Leben in Australien hinter sich gelassen, um in Ayutthaya zu leben. „Die Tiere sind nicht bösartig, ihre Aggressivität kommt meist von Stress“, sagt Ewa. Omchakawan etwa sei einfach überarbeitet gewesen, er habe bis zu 16 Stunden am Tag den Besitzern dienen müssen. „Dann verlieren die Tiere irgendwann die Nerven.“ Viele Elefanten seien auch traumatisiert vom jahrelangen Missbrauch durch Menschen.


Spaßtiere für Touristen. In Thailand sind Elefanten nationale Ikonen. Aber sie werden auch gejagt, gewaltsam zu Arbeitseinsätzen gezwungen oder als Spaßtiere für Touristen gehalten. Viele Tiere überleben die Qualen erst gar nicht. Angeblich gibt es nur noch 1500 bis 2500 Elefanten in dem ostasiatischen Land. „Wenn die Tiere hier ankommen, geben wir ihnen neue Namen, als Zeichen für einen Neuanfang“, erzählt Ewa. Natalie etwa wurde nach „Miss Universe 2005“, Natalie Glebova, benannt.

Jedes Tier wird von einem Elefantenführer, einem Mahut, betreut. Die Pflegeväter – in Thailand sind Mahuts ausnahmslos männlich – kümmern sich um die „Verbrecher“. Und damit sich die Tiere nicht langweilen und auf dumme Gedanken kommen, gibt es eine Malschule. Die Elefanten kreieren mit locker aus dem Rüssel geschüttelten Kreisbewegungen und kraftvollen Pinselschlägen Landschaftsgemälde. Die Bilder werden dann für zehn Dollar verkauft.

„Wir Menschen können sehr mies zu den Tieren sein“, sagt Ewa. Aber unter den Vierbeinern ist es trotz aller kunsttherapeutischen Bemühungen auch nicht viel besser. Die beiden Chefinnen halten Omchakawan, Natalie und Boon-Seuhm doch lieber angekettet und getrennt voneinander. „Auch wenn bislang nichts passiert ist: Ein Blutbad mit uns als Opfern möchten wir nicht riskieren“, sagt Ewa. Neben der Aggressivität der Heimbewohner, dem Hochwasser und dem fehlenden Geld gibt es momentan noch eine weitere Gefahr, vor der sich die Einwohner Ayutthayas in Acht nehmen müssen: Vom Hochwasser wurden rund hundert Krokodile aus einer Aufzucht geschwemmt. Sie lauern in den Fluten der alten Königsstadt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.11.2011)

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