Der Täter hatte keine Geiseln, daher setzte die französische Sondereinheit, die den Zugriff Donnerstagvormittag durchführte, auf Zermürbungsstrategie. Der Einsatz von Narkosegas wäre schwierig gewesen.
Wien. „Die Polizei hat abgewartet. Aber sie hatte ja Zeit, es befanden sich keine Geiseln in der Gewalt des Täters.“ Das sagt Bernhard Treibenreif, Kommandant des auch für Geiselnahmen ausgebildeten Einsatzkommandos „Cobra“. Er meint, die französische Sondereinheit „Raid“, die den Zugriff Donnerstagvormittag durchführte, hatte den Faktor Zeit auf ihrer Seite. „Der Attentäter ermüdet, seine Aufmerksamkeit lässt nach.“
Wichtig seien aber auch die ständige Kommunikation, das Gespräch „auf Augenhöhe“ und ein ernsthaftes Eingehen auf mögliche Forderungen. Der Druck, einen Zugriff durchzuführen, baue sich aber auf, je länger sich ein Täter verschanzt hält. „Wenn dann auch noch höchste Politiker und Dutzende Medien vor Ort sind, steigt der Druck minütlich“, meint Treibenreif.
Auf die Frage, ob es nicht möglich gewesen wäre, Narkosegas ins Haus zu leiten, um den Mann auszuschalten, sagt Treibenreif: „Das ist machbar, aber ein enormer Aufwand.“ Abgesehen von der richtigen Berechnung der Menge sei es schwierig, halbwegs gefahrlos die technischen Voraussetzungen dafür zu schaffen, das Gas zielgerichtet einströmen zu lassen. „Das wäre wohl nur unter massivem Beschuss durch den Täter möglich gewesen“, meint Treibenreif. Einen Einsatz mit Narkosegas führten russische Spezialkräfte am 26.Oktober 2002 bei einer Geiselnahme in einem Moskauer Theater durch: Über die Lüftungsanlage wurde Betäubungsmittel eingeleitet, 129 Geiseln. Viele von ihnen erstickten an ihrem Erbrochenen.
Erfahrungen werden ausgetauscht
Die Erfahrungen der „Raid“ aus Toulouse werden auch an die Cobra weitergeleitet – via „Atlas“: Das ist ein Verbund von 36 europäischen Sondereinheiten. Neben gemeinsamen Übungen werden auch Einsätze besprochen und neue Taktiken ausgearbeitet.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.03.2012)