Das überstürzte Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Fernando Lugo trägt Züge eines „Staatsstreichs“. Außenminister aus Nachbarländern eilten zu Hilfe.
Buenos Aires/Asunción. Er hat schon viel durchgestanden in seinen drei Jahren und acht Monaten im Amt. Mehrere Vaterschaftsklagen, und auch die Krebserkrankung seiner Lymphdrüse. Doch was dieser Tage in den zwei Kammern des paraguayischen Parlaments aufgeführt wird, kann tatsächlich das politische Ende von Fernando Lugo bedeuten.
Der Priester, der 2008 zum Präsidenten Paraguays wurde, musste sich am Freitagnachmittag vor dem Senat in einem Amtsenthebungsverfahren verteidigen. Das hatte das Parlament am Donnerstag in überwältigender Mehrheit beschlossen. Am Nachmittag setzte der Senat das Verfahren für den Folgetag an.
Ein erstaunlich rasantes Verfahren
Paraguays politischer Prozess ist nicht für seine Geschwindigkeit berühmt, daher erstaunt die Rasanz des Verfahrens. Der prominente Menschenrechtsaktivist Martín Alamada vermutet, dass sich die Parlamentskammern so beeilten, um Lugos Anhängern keine Zeit zu geben, sich zu mobilisieren. Alamada nennt die Aktion einen „Staatsstreich”.
Ausgelöst wurde die aktuelle Krise vor einer Woche in der Nähe der brasilianischen Grenze. Da versuchten Polizeikräfte die Räumung von Feldern, die von Landbesetzern eingenommen wurden. Bei dem Einsatz kam es zu einem offenen Feuergefecht zwischen den Landbesetzern und den Uniformierten, sechs Polizisten und elf Okkupanten starben, 80 Personen wurden verletzt. Die Kamera-Aufnahmen von diesem blutigsten Akt in Paraguays Geschichte – Kriege nicht mitgerechnet – ließen das politische Asunción explodieren. Lugo feuerte den Polizeichef und den Innenminister, der aus der liberalen Partei stammt, mit der Lugo eher schlecht als recht koalierte.
Nachdem sich das Staatsoberhaupt beharrlich geweigert hatte, einen Nachfolger aus derselben politischen Gruppierung zu benennen, zog der liberale Parteichef und Vizepräsident Federico Franco seine vier Minister aus der Regierung ab. Am Donnerstag stimmten auch alle liberalen Abgeordneten für die Amtsenthebung des Mandatars, von den liberalen Senatoren wurde am Freitag Ähnliches erwartet, die entscheidende Sitzung fand nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe statt.
Vizepräsident Franco stand als Erbe bereit
Der 49-jährige Vizepräsident Franco wäre der Mann, der Lugo beerben würde. Der Chirurg gilt im krassen Gegensatz zu dem Armenpriester Lugo als betont wirtschaftsliberal. Inhaltlich verband den Präsidenten und seinen Vize wenig mehr als die gemeinsame Feindschaft zu den Colorados, jener multiideologischen Machtmaschine, die das Land vor Lugo sechs Jahrzehnte protodemokratisch regiert hatte.
Trotz seines großen Rückhalts in der trotz Soja- und Agro-Booms immer noch überwiegend armen Bevölkerung, hatte Lugo nie die Unterstützung einer starken Partei. Weil Lugo im Inland kaum Rückhalt fand, mobilisierte Brasiliens Außenminister António Patriota auf der Rio+20-Konferenz seine Amtskollegen aus der Region.
Brasilien mobilisierte Schützenhilfe
Am Freitag reisten die Außenamtschefs aus Argentinien, Uruguay, Venezuela, Kolumbien und Brasilien nach Asunción, um Lugo beizustehen – und um zu versuchen, gewaltsamen Zusammenstößen zuvorzukommen. Lugos Anhänger hatten sich bereits vor dem Parlament formiert, ihnen standen mehr als 4000 Polizisten gegenüber. Die Lage war extrem angespannt.
Auf einen Blick
Fernando Lugo ist seit 2008 Präsident Paraguays. Der früherer Armenpriester überstand seither mehrere Krisen, darunter auch Vaterschaftsklagen. Die aktuelle Affäre dürfte ihm jedoch zum Verhängnis werden. Das Parlament stimmte am Freitag über eine eilig eingebrachte Amtsenthebung ab. Lugo zog den Zorn seiner liberalen Koalitionspartner auf sich, weil er den Innenminister nach einer blutigen Polizeiaktion gegen Landbesetzer gefeuert hatte. Der liberale Vizepräsident steht nun als Nachfolger bereit.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.06.2012)