Die Polizei löste das Asyl-Protestcamp vor der Kirche in der Nacht auf Freitag überraschend auf. Die Asylwerber protestieren jetzt weiter. Die Votivkirche soll in absehbarer Zeit nicht geräumt werden.
Wien. „Wenn sie uns nicht zuhören, dann werden wir kein Wasser mehr trinken“, sagt der Mann mit dem schwarzen Vollbart und der Wollmütze auf dem Kopf. Schon davor hatte ein junger Mann angekündigt: „Ab jetzt nehmen wir keinen Tropfen mehr zu uns.“ Der Mann mit dem Vollbart sitzt umringt von einer Gruppe Männer, die die Ankündigung mit heftigem Kopfschütteln unterstützen. Es ist ihnen offenbar völlig ernst.
In der Wiener Votivkirche überlegen die rund 40 Asylwerber, von denen ungefähr 14 seit mehreren Tagen im Hungerstreik sind, nun auch in den Durststreik zu treten. Ausgelöst wurde dies durch eine Polizeiaktion in der Nacht auf Freitag: Um vier Uhr in der Früh hat die Polizei überraschend das Asyl-Protestcamp vor der Votivkirche aufgelöst.
Berechtigt ist die Exekutive dazu, weil die Demonstranten die Kampierverordnung verletzt haben. Es habe aber keine Räumungsaufforderung seitens der Stadt gegeben, heißt es aus dem Rathaus. Augenzeugen berichten von mehr als 20 Polizeiautos, die die Straße vor der Votivkirche verstellt haben. „Ungefähr 200 Polizisten haben dann in Kampfmontur den Park belagert“, sagt eine junge Aktivistin, die seit Beginn der Proteste dabei ist. Dann seien Lkw auf den Platz gefahren – und Bauarbeiter und Polizei hätten begonnen, das Inventar zu zerstören. Zwei Asylwerber wurden nach dem Fremdenpolizeigesetz festgenommen, 24 angezeigt – 19 wegen Verstoßes gegen die Kampierverordnung, fünf wegen anderer Verwaltungsübertretungen.
In der Kirche sind um zehn Uhr Vormittag als erster unter anderem Caritas-Chef Michael Landau, Bischofsvikar Dariusz Schutzki und Michael Chalupka, Chef der Diakonie. Sie besprechen die Lage mit den Asylwerbern, die in dicken Schlafsäcke in einer Ecke der Kirche ihr Lager eingerichtet haben. Die Gesichter sind eingefallen, sie sehen erschöpft aus. Die meisten haben kaum geschlafen. „Hat jemand eine Lösung für uns?“, fragt ein Mann aus Pakistan die anwesenden Journalisten und Helfer.
Probleme sichtbar machen
Tatsächlich können auch die anwesenden Kirchenmänner nicht viel tun. Sie zeigen sich überrascht von der Räumung des Camps und enttäuscht von der Politik. „Die Menschen hier machen vorhandene Probleme sichtbar“, sagt Landau. Bereits im Vorfeld hatte sich die Caritas zum Teil mit den Forderungen der Asylwerber solidarisiert, auch wenn ihr Chef immer wieder vor der „Instrumentalisierung“ der Asylwerber durch Aktivisten gewarnt hat.
Zu den gemeinsamen Forderungen zählen etwa eine verbesserte Grundversorgung und ein besserer Zugang zum Arbeitsmarkt. „Heutzutage kann ein Asylwerber ja nur als Kellner oder als Prostituierter arbeiten“, sagt Landau. Eine einfache Lösung für die verfahrene Situation in der Votivkirche hat aber auch er nicht. „Es ist klar, dass nicht jeder, der um Asyl wirbt, auch ein solches bekommen kann“, sagt Wiens Caritas-Chef.
Er appelliert an die Politik, die Forderungen der Asylwerber ernst zu nehmen. Chalupka von der Diakonie formuliert es so: „Die Flüchtlinge wollen mit zuständigen Politikern reden. Da fällt niemandem ein Zacken aus der Krone, das zu tun.“
Doch genau davon will man im Innenministerium vorerst nichts wissen. Und beruft sich just auf die Vereinbarungen des runden Tisches, der am 23. Dezember mit Vertretern von Innenministerium und Bundeskanzleramt stattgefunden hat. Demnach hätten 42 von 71 Menschen die Möglichkeit gehabt, wieder in die Grundversorgung aufgenommen zu werden. „Das wurde aber abgelehnt“, sagt Sprecher Karl-Heinz Grundböck. Ein Gespräch vor Ort mit den Asylwerbern schließt er daher im Moment aus. Aus dem Bundeskanzleramt hieß es, man sei gesprächsbereit, müsse bei den Forderungen der Flüchtlinge aber auch die Realisierbarkeit im Auge behalten.
Die Votivkirche soll jedenfalls in absehbarer Zeit nicht geräumt werden. „Das schließen wir in der derzeitigen Situation aus“, sagt Bischofsvikar Schutzki. Wie lange die Asylwerber ihren Streik noch durchhalten können, ist ohnehin fraglich – auch in Hinblick auf den angekündigten Durststreik. Sechs der Hungerstreikenden sind am Freitag zumindest vorübergehend ins Krankenhaus gebracht worden, sagt Caritas-Wien-Sprecher Klaus Schwertner. Grund seien Kreislaufprobleme gewesen. Aufgeben wollen sie dennoch nicht: Die Zahl der Hungerstreikenden, sagt Schwertner, habe sich mit der Räumung des Camps sogar noch erhöht.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.12.2012)