Von vollgestopften Straßen und Tumulten vor den Marktständen

Naschmarkt im Jahr 1971
Naschmarkt im Jahr 1971ÖNB Bildarchiv
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Historiker Manfred Schenekl hat mit seinem Buch „Naschmarkt an der Wien“ eine umfassende Monografie über die Geschichte des Naschmarktes geschrieben, in der interessante und lesenswerte Details rund um den traditionsreichen Markt Wiens versammelt sind.

Wien/Duö. Otto Wagner, der bedeutende Architekt Wiens, wollte den Naschmarkt weghaben. Heißt: weg von den Straßen und Plätzen in eine Halle – und zwar aus ästhetischen und hygienischen Gründen. Außerdem war der Marktplatz viel zu wertvoll. Verwirklicht wurde Wagners Plan aber nicht, obwohl der Naschmarkt einige Jahre später tatsächlich „umsiedelte“: von den Freihausgründen – zwischen dem heutigen Kunsthallencafé und der Technischen Uni (Haus mit der Eule) – in die Linke Wienzeile. Das war 1916. Seither hat sich auf dem Naschmarkt sehr viel, aber auch erstaunlich wenig verändert. So sehen viele Stände immer noch aus wie seit der Gründungszeit; dafür hat der Markt im Laufe der Zeit einiges an Größe eingebüßt: 1916 gab es hier 940 Verkaufszellen, 57 Verkaufshallen, und auf dem Herzstück des Marktes, dem Landparteienplatz (auf dem heute der Flohmarkt stattfindet), boten 800 Händler Obst und Gemüse feil. Jeden Tag.

Über die bewegte Geschichte des Naschmarktes erzählt der Historiker Manfred Schenekl in seinem jüngst veröffentlichten Buch „Naschmarkt an der Wien“. Obwohl der Markt zu den traditionsreichsten in Wien gehört, gab es bisher keine umfassenden Darstellungen, so der Autor. Das Buch liefert jedenfalls interessante und lesenswerte Details rund um den Markt: über die Versorgungsnotlage während des Ersten Weltkriegs, wobei es in den Schlangen auf dem Markt oft zu Tumulten kam, über die von Fuhrwerken vollgestopften Straßen in den 1930er-Jahren (um fünf Uhr früh begann der Verkauf, die halbe Nacht wurde vorbereitet), über die Arisierungen und Enteignungen nach der nationalsozialistischen Machtergreifung – und über die vielen Pläne zur Neugestaltung ab den 1960er-Jahren. Verwirklicht wurde kaum einer davon: weder die Wiental-Expressstraße, dem der Markt weichen sollte, noch die Zweiteilung in einen nobleren kleineren und größeren Teil. Warum nicht? Eine Erklärung liefert vielleicht Otto Wagner: „Aufgrund der Gewohnheiten der Wiener.“
Manfred Schenekl: „Naschmarkt an der Wien“, LIT Verlag, 19,90 Euro.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.03.2013)

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