"Wienerwald Nord-Ost": Bauern fürchten um Ackerland

"Wienerwald Nord-Ost": Bauern fürchten um Ackerland(c) Fabry
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Die Stadt Wien hat sich entschlossen, die Vision von einem neuen Wienerwald in der Donaustadt in den Stadtentwicklungsplan aufzunehmen. Nun fürchten die Bauern dort um ihr Ackerland.

Wissen Sie, ein Politiker lebt ja davon, dass er in der Öffentlichkeit vorkommt, in den Zeitungen und im Fernsehen“, sagt Gerhard Schön. „Mir ist das erst jetzt richtig klar geworden, während dieser ganzen Sache.“

Diese ganze Sache, das ist ein Wald– oder, besser gesagt, eine Idee von einem Wald, die in den Köpfen einiger Stadtpolitiker herumspukt. „Wienerwald Nordost“ heißt diese Idee, und würde sie jemals umgesetzt, wäre sie von geradezu historischer Dimension: Bis zu tausend Hektar groß soll der Wald werden, den die Stadt pflanzen würde – zehn Quadratkilometer, fast so groß wie die Bezirke vier bis neun zusammen. Ein Naherholungsgebiet am Rande der Stadt, eingeklemmt zwischen Seestadt Aspern, der Schnellstraße S2 und der Grenze zu Niederösterreich, das gleichzeitig als grüne Lunge des wachsenden Bezirks Donaustadt fungieren soll, so die Vision.


Das Salatherz Wiens. Und trotzdem kann sich Gerhard Schön nicht so recht für die Idee erwärmen. Der Breitenleer Großbauer – und theoretisch einer der Hauptbetroffenen – hat über einen Jubelartikel in der „Kronen Zeitung“ von dem Projekt erfahren, das just das betreffen soll, worüber Landwirte keinen Spaß verstehen: seinen Grund und Boden. „Erst hat der Bezirksvorsteher die Idee gehabt“, sagt der 48-Jährige. Und als die Medien aufgesprungen seien, hätte auch die höhere Stadtpolitik begonnen, sich für den neuen Wald zu begeistern.

Der beißende Marchfelder Wind pfeift Schön um die Ohren und wirbelt in meterhohen Schwaden trockene Erde von den Feldern auf, während der Landwirt zeigt, warum er wenig von den Plänen hält: „Eissalat, Kopfsalat, bunte Salate, Endivien, dazu auch Weizen und Zuckerrüben“ – das alles baut Schön auf diesen Feldern an, die in dem Gebiet liegen, in dem der Wienerwald Nordost entstehen sollte.

Knapp ein Fünftel dieser Fläche bewirtschaften der 48-jährige Gemüsebauer, seine Frau und seine Schwiegermutter mit ihren Betrieben (den Großteil davon aber nur in Pacht von kleineren Eigentümern), sie zählen zu den wichtigsten Gemüselieferanten der Stadt: Wer etwa bei einem Wiener Billa Kopf- oder Eissalat kauft, kann sich ziemlich sicher sein, dass er Salat von den Feldern der Schöns bekommt.

„Wenn die Stadt diese Äcker zu einem Wald macht, ist das für unseren Betrieb existenzbedrohend“, sagt Schön und deutet auf das weite Land, auf dem sich zwischen der Kagraner Mülldeponie und dem Lagerhausturm von Raasdorf – beide mehrere Kilometer entfernt – keine einzige Erhebung abzeichnet. Jahrzehnte intensiver Bewirtschaftung haben das Land, das einst vom Donauschwemmland geprägt war, flach geschliffen. Mit Ausnahme eines alten, überwucherten ÖBB-Areals besteht der gesamte Raum des Wienerwalds Nordost aus Ackerland. Schön glaubt, dass ein Wald hier ohnehin nicht wachsen würde: Zu dünn sei die Schicht fruchtbarer Erde, zu tief unten liege das Grundwasser.

Und dann sei da noch die Sache mit der Versorgungssicherheit. „Wenn man den Salat nicht mehr in Wien produzieren kann, wird er irgendwo anders herkommen müssen“, prophezeit Schön. Immerhin könnten in dem Gebiet, das derzeit für den neuen Wald vorgesehen sei, rund zehn Millionen Stück Salat produziert werden. Fielen diese aus, könnte das Gemüse in Wien deutlich teurer werden.


Konkrete Pläne? Fehlanzeige. So weit ist es aber ohnehin noch lange nicht, denn dass sie schon besonders konkrete Pläne zur Pflanzung des Waldes geschmiedet hätte, kann man der Stadt Wien nicht unterstellen. Kostenschätzungen, ein genauer Lageplan, auch nur ein grober Zeitplan für die Umsetzung des Projekts? Fehlanzeige bisher. Abseits einiger PR-Fotos der Umweltstadträtin Ulrike Sima (SPÖ) und des Donaustädter Bezirksvorstehers Norbert Scheed (SPÖ) gibt es bisher nur vage Absichtserklärungen zur Pflanzung des Wienerwalds Nordost: Sowohl die Bezirksvertretung als auch – vergangene Woche – der Gemeinderat haben per einstimmigen Beschluss die Absicht erklärt, dass im Wiener Stadtentwicklungsplan Flächen für einen Wienerwald Nordost vorgesehen werden.

Auch im Büro Sima bestätigt man, dass man noch im Stadium von Grundsatzfragen und -ideen sei – von konkreten Plänen sei man noch weit entfernt. Fest stehe aber: „Enteignungen wird es jedenfalls keine geben.“ Das versichert eine Sprecherin der Stadträtin. Genau das dürfte die Umsetzung des Wienerwalds Nordost zu einem Projekt für Jahrzehnte machen: Denn die Grundstücke in der betroffenen Gegend sind auf Dutzende kleine Eigentümer verstreut – bleibt die Stadt entschlossen, keinen Zwang anzuwenden, muss sie die Gründe entweder kaufen, abtauschen oder pachten, um einen Wald entstehen zu lassen. Das wäre eine Investition im zumindest zweistelligen Millionenbereich; unwahrscheinlich, dass die Stadt Wien das in den kommenden Jahren investieren wird, selbst wenn sie die Grundeigentümer überzeugen könnte.

Schneller als die ersten Bäume auf den Donaustädter Feldern könnte allerdings eine andere Maßnahme bevorstehen, sobald der Wienerwald Nordost im Stadtentwicklungsplan verankert ist: die Umwidmung der betroffenen Grundstücke – teilweise jetzt als Landwirtschaft ausgewiesen – in die Sonderwidmung SWW, Schutzgebiet für den Wald- und Wiesengürtel. Das würde zwar die landwirtschaftliche Nutzung weiter erlauben, aber einen der Zwecke erfüllen, den Kenner der Materie der „Presse“ als einen der Hauptgründe für das Waldprojekt nennen: Grundstücksspekulationen einzudämmen.

In den vergangenen Jahren hätten Spekulanten Interesse an verschiedenen Grundstücken in dem Bereich gezeigt, der nun für den Wald ausgewiesen ist – in der Hoffnung, dass hier, nahe der neuen Seestadt, schon bald Baugründe entstehen könnten. Und somit das Preisniveau in der Donaustadt hinaufgetrieben. Mit einer Widmung als SWW könnte man Preistreiber dieser Art abschrecken, denn eine Rückwidmung einmal ausgewiesener Schutzgebieten ist praktisch nicht machbar.


Wachstum steuern. Dass Grundstücksspekulation „ein Riegel vorgeschoben“ werde, sei ein Nebeneffekt der Diskussion, sagt Norbert Scheed. Der Bezirksvorsteher der Donaustadt hat die Idee des Wienerwalds Nordost im Frühjahr wieder aufgebracht.

Wichtiger sei aber der Gedanke gewesen, „Grünraumvorsorge“ zu betreiben, sagt Scheed: Die Stadt wächst und wächst und frisst sich nur so in die Landschaft hinein – daher sei es wichtig, sich darüber Gedanken zu machen, wo man in Zukunft Naherholungsgebiete haben möchte. „Wir sind jetzt in einem frühen Stadium des Wachstums“, in dem man noch steuernd eingreifen und überlegen könne, wie man den Raum in diesem Zusammenhang verteile. „Jetzt können wir das noch relativ entspannt diskutieren“, sagt Scheed, der sich auch vorstellen kann, dass statt eines Waldes ein gemischt genutzter Raum entsteht, in dem sich Äcker, Windschutzgürtel und kleine Forste abwechseln.

Das Argument, mit dem Projekt sei die Versorgungssicherheit Wiens mit Gemüse gefährdet, will er aber nicht gelten lassen: „Wenn die Stadt auf die Felder in dem Bereich angewiesen wäre, wären wir längst verhungert.“

Scheed glaubt, dass das Wienerwald-Projekt im besten Fall in einigen Jahrzehnten umgesetzt werden könnte: In allen Beschlüssen habe die Stadt sich dazu bekannt, alle Betroffenen einzubinden, und damit werde das Ganze sicher länger dauern. Aber wie gesagt gehe es um eine langfristige Wachstumsperspektive.

Das ist bei dem Thema nicht neu: Die ursprüngliche Idee eines vollständigen Grüngürtels rund um die Bundeshauptstadt hielt schon 1904 der christlichsoziale Bürgermeister Karl Lueger per Erlass fest. Wiesen und Wälder rund um das Stadtgebiet wurden – „zur dauernden Sicherung der Gesundheitsverhältnisse unserer Stadt sowie zur Erhaltung des landschaftlich schönen Rahmens“ – unter Schutz gestellt.


Mikroklima für die Stadt. Was aus wissenschaftlicher Sicht keine schlechte Idee war – wie auch heute die Nordost-Pläne positiv bewertet werden: „Grundsätzlich finde ich die Aktion schon gescheit“, sagt Hubert Hasenauer, Leiter des Instituts für Waldbau an der Universität für Bodenkultur.

Die Argumentation, dass in der Region keine Bäume wachsen könnten sei nicht korrekt: „Das war ja vor ein paar hundert Jahren alles Wald.“ Allenfalls müsste man bei einer Aufforstung eben zunächst auf trockenheitaffine Pionierpflanzen setzen. Binnen weniger Jahrzehnte würde dann ein Wald-Mikroklima entstehen, das sich nicht nur auf die umliegende Stadt positiv auswirken könne, sondern auch die Ansiedlung anderer Bäume ermögliche.

Dass die Rekultivierung von Wäldern möglich sei, zeige sich in Ostdeutschland, wo Kohlegruben wieder aufgeforstet wurden. Und hier, immerhin, habe man ja fruchtbaren Boden.

Wienerwald NordOst Bauern fuerchten
Wienerwald NordOst Bauern fuerchten

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.10.2013)

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