Alte Bekannte: NEOS und ÖVP im Streitgespräch

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Alte Bekannte, künftige Konkurrenten: Beate Meinl-Reisinger (Neos) kann sich vorstellen, als Spitzenkandidatin gegen Manfred Juraczka (ÖVP) in den Wien-Wahlkampf zu ziehen.

Die Presse: Sie kennen einander von der Zeit, als Frau Meinl-Reisinger für die Wiener ÖVP gearbeitet hat. Hatten Sie seit der Neos-Gründung ein längeres Gespräch?

Beate Meinl-Reisinger: Nein.

Wollten Sie nicht oder hat es sich nie ergeben?

Manfred Juraczka: Die Neos sind derzeit mehr auf Bundesebene aktiv und nicht im Wiener Alltag. Da läuft man sich nicht so oft über den Weg.

In Floridsdorf gibt es bereits eine Neos-Bezirksrätin, die bis 2012 noch bei der ÖVP war. Trifft Sie so etwas?

Juraczka: Nein, ich baue auf Leute, die zu hundert Prozent für die ÖVP brennen.

Diese Bezirksrätin meinte, aus der Wiener ÖVP auszutreten fühle sich an, wie Scientology zu verlassen. Sind Sie nachtragend?

Juraczka: Der Vergleich mit einer Sekte ist nur lächerlich. Ich habe im Gegensatz zum Herrn Strolz von den Neos ja nicht einmal einen eigenen Schamanen.

Das heißt, es gibt auch keine Enttäuschung gegenüber den Neos? Ihr Gegenüber hat 2011 den Agendaprozess der Wiener ÖVP mitorganisiert, bei dem man neue Ideen sammeln wollte. In der ÖVP wurde später geklagt, die Neos hätten Ideen „mitgehen lassen“.

Juraczka: Nein es gibt keine Enttäuschungen. Wir würden uns sogar freuen, würden die Neos noch viel öfter bei uns abschreiben.

Meinl-Reisinger: Also bitte.

Juraczka: Lassen wir das. Einen Bruderzwist wie bei FPÖ und BZÖ gibt es jedenfalls nicht.

Meinl-Reisinger: Wir sind ja auch keine ÖVP-Abspaltung, wir haben viele andere Wurzeln, vor allem engagieren sich bei uns Menschen, die vorher gar nichts mit Politik zu tun hatten. Genau das macht uns auch zu einer Bürgerbewegung.

Noch einmal zur Klarstellung: Werfen Sie Neos nun vor, abgekupfert zu haben?

Juraczka: Wir müssen erst einmal warten, wie sich die Neos auf Wiener Ebene positionieren.

Das wird sich bis zur Wien-Wahl zeigen müssen. Welches Ziel haben sich die Neos gesetzt?

Meinl-Reisinger: Ich will ein zweistelliges Ergebnis.

Und wer soll Spitzenkandidat werden?

Meinl-Reisinger: Das bestimmen die Vorwahlen. Ich baue jedenfalls das Wien-Team auf und würde auch gern die Rolle der Landessprecherin weiter machen.

Das heißt, Sie können sich vorstellen, selbst Spitzenkandidatin zu werden und in den Gemeinderat zu wechseln?

Meinl-Reisinger: Ja.

Derzeit dreht sich die Stadtpolitik vor allem um die Mariahilfer Straße. Zu der gibt es insgesamt sechs Befragungen. Vor allem die Unternehmer, die bei der offiziellen Meinungserhebung nicht mitmachen dürfen, werden mehrfach befragt. Nach der Wirtschaftskammer und dem Wirtschaftsbund befragt auch die Wiener ÖVP die Geschäftsleute. Ist das wirklich noch nötig?

Juaczka: Bei so einem polarisierenden Thema ist es doch verständlich, dass jeder die Meinung der Leute einholt, für die er Politik macht. Wir befragen die Hauptbetroffenen, die Geschäftsleute mit Gassenlokalen, nicht alle Unternehmer.

Die Neos befürworten das Projekt. Warum?

Meinl-Reisinger: Die Einführung ist zwar ein Murks, und natürlich hätten wir es gern gesehen, dass die Unternehmer offiziell befragt werden. Trotzdem sind wir in der Sache für die Verkehrsberuhigung – allerdings mit Querungen für den Autoverkehr. Was das Radfahren in der Fußgängerzone betrifft, glaube ich, dass das funktioniert, sofern man die Radfahrer durch Hindernisse wie Sitzmöglichkeiten zwingt, langsam zu fahren.

Die ÖVP will dazu keine Empfehlung abgeben. Warum?

Juraczka: Bei den Querungen haben wir uns insofern festgelegt, als es ausreichend viele geben muss. Darüber hinaus ist eine Fußgängerzone aber keine ideologische Frage. Die Leute werden schon wissen, was sie antworten.

Meinl-Reisinger: Haben Sie denn gar keine Meinung? Ich habe derzeit den Eindruck, dass Sie das Projekt scheitern sehen wollen.

Juraczka: Wenn Sie so fragen: Die Fußgängerzone im Kern der Straße wäre eine Chance, die aber durch viele Fehler massiv gefährdet ist.

Sollen Radfahrer in der Fußgängerzone fahren dürfen?

Juraczka: Wenn ich an die Fußgängerzone am Graben oder in der Kärntner Straße denke, kann ich mir das nicht vorstellen.

Die ÖVP und die Neos matchen sich um die Wählergruppe der Wirtschaftstreibenden. Mit dem prononcierten Kampf gegen die Abschaffung der GmbH light, also die Gründung einer GmbH mit 10.000 Euro Startkapital, haben die Neos bei Klein- und Jungunternehmern einen Nerv getroffen, von denen es in Wien besonders viele gibt. Wie erleichtert sind Sie, dass die Regierung die geplante Abschaffung der GmbH light teilweise zurücknimmt?

Juraczka: Wir freuen uns, dass wir den Koalitionspartner überzeugen konnten, Veränderungen zum Wohle der Wirtschaft vorzunehmen.

Sind die Neos mit den Änderungen zufrieden?

Meinl-Reisinger: Es sind Verbesserungen vorgenommen worden– insbesondere, dass die Brandmarkunggründungsprivilegiert außerhalb des Firmenbuchs wegfällt. Wir bleiben aber dabei: Wir fordern eine GmbH zero mit null Stammkapital in der Gründungsphase für einen echten Unternehmerboom.

Gefällt Ihnen die Zero-Idee?

Juraczka: Nein, da kann ich ja gleich als Einzelunternehmer agieren.

Meinl-Reisinger:Eben nicht, denn es besteht auch hier die Pflicht, dass Kapital angespart werden muss. Stammkapital bei der Gründung ist ohnehin bloß eine fiktive Größe. Das liegt oft nur einen Tag auf der Bank, bevor es investiert wird.

Ein anderes Bundesthema spielt in Wien keine Rolle: die Gesamtschuldebatte. Die Wiener ÖVP will anders als die Parteikollegen im Westen nicht am Gymnasium rütteln. Was ist in Wien anders?

Juraczka: Die Bildungstests haben gezeigt, dass das Gymnasium gute Ergebnisse bringt. Warum sollte man eine Schulform, die funktioniert, infrage zu stellen? Gerade in Wien haben wir – Stichwort Spracherwerb – genug andere Probleme: Man sollte sich lieber auf die Förderung in der Volksschule konzentrieren.

Meinl-Reisinger: Bei Letzterem gebe ich Ihnen recht, wobei es mir vor allem auch um die Frühkindpädagogik geht. Trotzdem glauben wir, dass es keinen Sinn hat, Kinder mit zehn Jahren zu trennen. Mit dem Festhalten am Gymnasium macht die Wiener ÖVP in erster Linie Klientelpolitik. Das Motto lautet: Hauptsache, den bürgerlichen Bezirken bleibt das Gymnasium, der Rest soll in die Restschule gehen. Gehen uns Arbeiterbezirke denn nichts an? Ich finde das nicht sehr humanistisch. Was im Umkehrschluss nicht heißt, dass ich die Neue Mittelschule verteidige. Die ist gescheitert, unter anderem weil das System parallel zum Gymnasium läuft.

Frau Meinl-Reisinger, Sie haben von den bürgerlichen Bezirken gesprochen. Halten Sie beide sich für bürgerlich?

Juraczka: Wenn man als bürgerlich Individualismus versus linker Kollektivismus definiert, dann ja.

Meinl-Resinger: Ja, wenn bürgerlich bedeutet: Individualismus, Schutz der Privatheit vor dem Staat, Eigenverantwortung.

Bis vor Kurzem hätte ich gesagt, die Gesellschaftspolitik unterscheidet Ihre Parteien markant. Inzwischen gibt es aber eine ÖVP-nahe Familienministerin, die sich ein Adoptionsrecht für Homosexuelle vorstellen kann. Hat sich dadurch die Position der Wiener ÖVP geändert?

Juraczka: Nein. Kinder, die adoptiert werden, sollen Vater und Mutter bekommen.

Trennt Sie vor allem die christliche Wurzel der ÖVP? Die Neos treten ja für die Homo-Ehe ein.

Juraczka: Für mich fußt jeder liberale Gedanke auf Grundwerten. Mir fällt ein Zitat ein, das – nicht ganz richtig – Winston Churchill zugeschrieben wird: Wenn Sie mit 25 kein Liberaler sind, haben Sie kein Herz. Wenn Sie mit 35 kein Konservativer sind, haben Sie kein Hirn. Insofern habe ich Hoffnung, dass die Kollegin in absehbarer Zeit wieder zu uns kommt.

Meinl-Reisinger: Ich habe ein Herz und ein Hirn, am Ende bin ich gar ein Mensch, oder wie? Eine Rückkehr schließe ich aus - kategorisch.

ZU DEN PERSONEN

Beate Meinl-Reisinger, Jahrgang 1978, ist Nationalratsabgeordnete, Vorstandsmitglied der Neos und Wiener Landessprecherin. Die Juristin hat eine Vergangenheit mit der ÖVP: Sie war Assistentin bei Othmar Karas im EU-Parlament und im Kabinett der ÖVP-Staatssekretärin Christine Marek. 2009 folgte sie Marek, als diese die Wiener ÖVP übernahm. 2011 kehrte Marek nach internen Kämpfen in die Bundespolitik zurück. 2012 verließ auch Meinl-Reisinger die ÖVP und engagierte sich bei Neos.

Manfred Juraczka, Jahrgang 1969, ist seit 2011 nicht amtsführender Stadtrat der Wiener ÖVP. 2012 trat er als Obmann der Landespartei die Nachfolge von Christine Marek an. Davor war der studierte Publizist und Politikwissenschaftler, der hauptberuflich in der PR-und Marketing-Branche arbeitete, vor allem im Bezirk Hernals tätig. Juraczka stammt aus einer traditionell „schwarzen“ Familie. Er gilt als eher liberal und umgänglich. Sein Ziel für die Wien-Wahl 2015 ist „zulegen“. 2010 erreichte die ÖVP 13,9Prozent.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.02.2014)

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