Wien kämpft um Vorrecht auf Tote

Leichenkühlung oder Aufbahrung: In Wien führt kein Weg an städtischen Betrieben vorbei.
Leichenkühlung oder Aufbahrung: In Wien führt kein Weg an städtischen Betrieben vorbei.(c) Fabry
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Wer stirbt, muss in eine Leichenkammer der Stadt. Eine Wienerin will im Fall des Falles lieber zu einem privaten Bestatter – und dieses Recht beim Höchstgericht erstreiten.

Wien. In Wien leben 1,765 Millionen Menschen. Manche ziehen weg, noch mehr wandern zu. Jahr für Jahr sterben hier auch 14.000 Personen. Und ausnahmslos alle von ihnen müssen vor ihrem Begräbnis zur Lagerung in eine gekühlte Leichenkammer der Friedhöfe Wien – die über die Wiener Stadtwerke der Stadt Wien gehören. Gebührenpflichtig, versteht sich. So will es das hiesige Leichen- und Bestattungsgesetz.

Einer 69-jährigen Wienerin ist diese Vorstellung ein Graus. Sie „will auf keinen Fall, dass das mit meinem Leichnam auch einmal passiert“. Wenn es bei ihr so weit sein sollte, möge sich der (private) Bestatter ihres Vertrauens um den Leichnam kümmern, von der Einkühlung über die Aufbahrung bis hin zum Begräbnis. Die Weichen für diesen schwierigen Weg will sie allerdings schon jetzt stellen. Frau S. bemüht in der Sache seit November 2013 nämlich den Verfassungsgerichtshof (VfGH). Sie glaubt, durch die Regelung in ihren Menschenrechten verletzt zu sein, ortet Missachtung des Privat- und Familienlebens sowie die Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes.

Stadtsenat wehrt sich

Dies übrigens deshalb, weil in den anderen Bundesländern Österreichs privat geführte Bestatter in ihren Betrieben sehr wohl gekühlte Leichenkammern betreiben dürfen. Doch Wien ist eben anders. Im entsprechenden Gesetz steht unter § 10 Abs. 1: „Leichen sind nach Vornahme der Totenbeschau unverzüglich in einer Leichenkammer einer Bestattungsanlage unterzubringen.“ Nur stehen in Wien eben alle Bestattungsanlagen im Eigentum der Stadt. S. kämpft beim Höchstgericht nun darum, dass sich Leichenkammern künftig nicht mehr zwingend auf dem Gelände von Bestattungsanlagen befinden müssen. Der Begriff, so steht es im Schreiben ihres Anwalts an den VfGH, könne ersatzlos gestrichen werden.

Kann er nicht. Das sagt jedenfalls der Stadtsenat, der am Dienstag seine Stellungnahme für das Höchstgericht beschloss. Bis auf die ÖVP waren alle Mitglieder von SPÖ, FPÖ und den Grünen der Meinung, dass Sterben in Wien auch in Zukunft nicht privat geschehen dürfe. Oder wie es der schwarze Gemeinderat Wolfgang Ulm danach ausdrückte: „In Wien ist selbst das Sterben verstaatlicht.“ Die Argumentation der von Bürgermeister Michael Häupl unterschriebenen Stellungnahme ist streckenweise bemerkenswert.

Wien, oder besser der Stadtsenat, bestehend aus Bürgermeister, amtsführenden und nicht amtsführenden Stadträten, ist der Meinung, dass „mit dem Tod einer Person auch der Grundrechtsschutz endet“. Anders formuliert: Die Wünsche von S. sind in Ordnung, nach ihrem Tod entscheiden jedoch andere über ihre sterblichen Überreste. Punkt. Deshalb sei ihr Antrag vom VfGH allein schon aus formalen Gründen abzuweisen. Doch es kommt noch direkter.

Es geht ums Geld

In der Praxis ende nämlich das Recht auf Bestimmung über den eigenen Leichnam da, wo die Schutzpflicht des Staats gegenüber Dritten beginne. Die Körper von Toten könnten Infektionen, Seuchen und Krankheiten übertragen. Allein schon aus diesem Grund, so steht es im Text, sei es sinnvoll, dass sich Leichenkammern eben dort befinden, wo es das Gesetz will: auf Friedhöfen. Zudem entspreche es dem „Wunsch der Bevölkerung, die Begegnung mit dem Tod auf jene Orte zu konzentrieren, die dafür vorgesehen sind“. Die Tradition der pompösen Leichenzüge quer durch die Hauptstadt ist den Wienern des 21. Jahrhunderts offenbar nicht mehr zumutbar.

Die wahren Gründe für die Ablehnung dürften freilich weit profaner sein: Es geht ums Geld. Neben den Leichenkammern müssen private Bestatter und ihre Kunden nämlich auch die dazugehörigen Aufbahrungshallen bei der Stadt mieten. Beides zusammen gibt es ab 435,20 Euro. Rund zehn Prozent aller Bestattungen werden inzwischen privat abgewickelt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.02.2014)

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