Die Berechnung des neuen Wahlrechts ist komplex. Im Prinzip geht es um eine einzige Zahl, die alles entscheidet. Und um die wird zwischen Rot und Grün gestritten.
Wien. Das neue Wiener Wahlrecht sorgt (wieder) für Konflikte. Besser gesagt: das Ausbleiben eines neuen, modernen und fairen Wahlrechts, das die SPÖ nicht mehr überproportional bevorzugt und laut rot-grünem Koalitionspakt bis 2012 beschlossen hätte werden müssen. Nach einem entsprechenden Bericht in der „Presse“ empörte sich Wiens VP-Chef Manfred Juraczka am Montag: Entgegen der rot-grünen Ankündigung, man werde ÖVP und FPÖ einbinden um gemeinsam ein faires Wahlrecht zu entwickeln, würde es „nicht einmal Pseudo-Gespräche“ geben.
Dietbert Kowarik (FPÖ) kritisiert am Montag ebenfalls: Es gebe seit 2010 keine konkreten Gespräche dazu. Auf diese Gespräche dürfte die Opposition ewig warten. Wie der „Presse“ von mehreren Seiten im Rathaus bestätigt wird, ist das neue Wiener Wahlrecht de facto fertig und hätte auch bereits präsentiert werden sollen. Es hakt aber an einer zentralen Stelle – der sogenannten Wahlzahl.
Zur Erklärung: Grundmandate sind in Wien recht billig zu bekommen. Das wurde eingeführt, damit Vertreter der Bezirke (also jene, die direkt im Kontakt mit dem Bürger stehen) überdurchschnittlich gut im Gemeinderat vertreten sind. Erreicht wird das durch einen so genannte Quotienten, der den „Preis“ für ein Grundmandat deutlich senkt.
Bei einem Bezirk mit z.B. vier Mandaten werden die gültigen Stimmen nicht durch vier, sondern durch fünf Mandate (also +1) gerechnet – wodurch der Preis für ein Mandat von 25 auf 20 Prozent der Wählerstimmen sinkt. Davon profitiert stark die SPÖ, weil ihre Hochburgen in den Flächenbezirken (Donaustadt, Floridsdorf etc.) liegen, diese haben besonders viele Grundmandate zu vergeben.
Ein Bonus für Großparteien
Dieser Bonus (+1 Mandat pro Bezirk), also die Wahlzahl, wird geändert, wie der „Presse“ mehrfach im Rathaus inoffiziell bestätigt wird. Rot-Grün diskutieren aber noch, um wie viel dieser Bonus gesenkt wird – nachdem sich das je nach Bezirk unterschiedlich auswirkt. Die Tendenz: Eine starke Senkung schadet der SPÖ massiv, die Grünen profitieren. Nur: Ein ranghoher SPÖ-Funktionär hatte vor Kurzem zur „Presse“ gemeint: Verliert die SPÖ mehr als zwei Mandate, werde die Partei nicht zustimmen.
Nebenbei will Rot-Grün naturgemäß vermeiden, dass FPÖ bzw. Neos übermäßig profitieren. Deshalb wird bei der Wahlzahl gerechnet und gekämpft. Was die Berechnungen erschwert: Wie stark werden die Neos? Was passiert, falls sich die Neos in einigen Jahren wieder auflösen sollten, war im Rathaus zu hören. Ansonsten hänge das Wahlrecht nur noch an (durchaus komplexen) Kleinigkeiten.
Den entsprechenden „Presse“-Bericht vom Samstag hatte Grün-Klubchef David Ellensohn auf Twitter als „komplett falsch“ bezeichnet, der Bericht solle nur Rot-Grün schaden. „Presse“-Quellen bestätigten dagegen den Bericht nochmals, Ellensohn wurde von der „Presse“ um eine offizielle Stellungnahme gebeten – diese blieb aber aus.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.05.2014)