El Torado: Das perfekte Fußballland

(c) Die Presse
  • Drucken

Die Ökonomie des Fußballs: Demokratie, die Zugehörigkeit zum romanischen Sprach- und Kulturkreis, Katholizismus, mildes Klima und bescheidener Wohlstand sind die Zutaten, um exzellente Kicker hervorzubringen.

Hitler war stinksauer. Dabei hatten Propagandaminister Goebbels und der Danziger Gauleiter Albert Forster an jenem 7. August 1936 alles so schön vorbereitet: Berlin, Olympiastadion, Zehntausende Zuschauer und das kleine Norwegen als Gegner. Ein Kantersieg der deutschen Elf bei diesem Match während der Olympischen Spiele sollte dem Nazi-Reich als Steinchen im propagandistischen Mosaik dienen.

Dumm nur, dass die Norweger nicht mitspielten. Das heißt: Spielen taten sie schon. Tore schießen auch. 2:0 gewannen die Skandinavier. Und damit war das olympische Fußballturnier für die Deutschen nach dem zweiten Spiel wieder vorbei. Wutschnaubend stürmte Hitler aus der Ehrenloge; sein erster Besuch eines Fußballmatches war auch sein letzter.

Die Sechs Parameter

Demokratisch: 18 Weltmeisterschaften wurden bisher ausgespielt – 14 Mal war der Sieger eine Demokratie. Bei den neun Europameisterschaften war das neun Mal der Fall. Demokratie ist also gut für den Fußball. Romanisch: Nur sieben Länder (Argentinien, Brasilien, Deutschland, England, Frankreich, Italien, Uruguay) wurden bisher Weltmeister. In fünf davon spricht man eine romanische Sprache. Von den neun EM-Siegern waren es vier. Katholisch: Von den sieben bisherigen Weltmeistern waren fünf überwiegend katholisch. Auch Deutschland hat einen großen Anteil an Katholiken. Hingegen trifft das nur auf drei der neun Europameister zu. Mediterran: 14 Grad beträgt die Temperatur im Jahresdurchschnitt der fußballerisch erfolgreichsten Länder. Das trifft auf Italien, Spanien, Portugal und das Delta des Río de la Plata zwischen Argentinien und Uruguay zu. Bescheiden: Weder richtig arm noch richtig reich sind die erfolgreichsten Länder im Mittel. Rund 26.200 Dollar beträgt heute ihre Wirtschaftsleistung pro Kopf. Steigt dieser Wert, nimmt der sportliche Erfolg typischerweise ab. Mittelgroß: Die Bevölkerungszahl allein ist egal. Sonst wäre China Weltmeister. Wächst ein romanisches Land ein Prozent stärker als die Welt, bringt das genug Punkte, um in der Rangliste rund zehn Plätze vorzurücken.

Was Nazis und Sowjets eint

Es ist erstaunlich: Jenes Regime, das es wohl stärker als alle anderen vorher und danach vollbracht hat, alle Lebensbereiche den eigenen propagandistischen Zwecken zu unterwerfen, bekam den Fußball nicht in den Griff. Etwas provokant gefasst: Hitlers Staatsdirigismus vollbrachte – zum perversen Zweck der totalen Kriegsführung – eine rasante Aufrüstung, bescherte Deutschland als erstem Land der Welt ein umfassendes Rundfunksystem und ein gigantomanisches Bauprogramm. Guten Fußball konnten die Nazis aber nicht von oben herab planen.

Das misslang auch der anderen großen Diktatur. Die Sowjetunion errang trotz eines großen Reservoirs an Spielern und sportwissenschaftlicher Akribie gerade einen EM-Titel (1960). Wobei die sowjetischen Kicker dafür nur vier Spiele austragen mussten: Eines gegen Irland, zwei gegen die sozialistischen „Bruderländer“ Ungarn und Tschechoslowakei sowie das Finale gegen Jugoslawien.

Diktaturen sind also offenbar kein guter Nährboden für exzellenten Fußball. Die vermeintlichen Gegenbeispiele Brasilien und Argentinien entkräften diese These nicht. Brasilien errang während der Militärdiktatur (1964 bis 1985) nur einen seiner fünf Weltmeistertitel. Argentiniens Generäle wiederum versuchten 1978, den Triumph bei der WM im eigenen Land auszunutzen. Sie schossen sich ein fettes Eigentor. „Argentinien wird Weltmeister – Videla an die Wand“, lautete ein Sprechchor, der in den Stadien immer wieder aufkam. Weltmeistertrainer César Luis Menotti verweigert besagtem General Videla, dem Führer der Junta, gar öffentlich den Handschlag.

(c) Die Presse / GK

Das Rezept für Spitzenfußball

Welche sozialen und ökonomischen Bedingungen sind also optimal für guten Fußball? Das fragen sich nicht nur schrullige Sportfans, sondern auch Ökonomen und Statistiker an höchst angesehenen Universitäten. Denn wegen der Fülle an statistischen Daten, der Einfachheit der Regeln und des Umstandes, dass in allen Ländern der Erde gekickt wird, eignet sich dieser Sport hervorragend dazu, ökonomische Thesen und statistische Verfahren zu testen.

„The Socio-Economic Determinants of International Soccer Performance“ von Robert Hoffmann, Lee Chew Ging und Bala Ramasamy (University of Nottingham, 2002) geht der erwähnten Frage auf den Grund. Die Ökonomen haben das Abschneiden von 76 der damals 203 Mitglieder des Fußballverbands Fifa in internationalen Fußballwettkämpfen analysiert. Zu diesem Zweck haben sie die Länder nach verschiedenen Kriterien sortiert: Bevölkerungsgröße, Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf, die Durchschnittstemperatur, Sprache, Religion. Um das Ergebnis dieser Untersuchungen anschaulich zu machen, hat die „Presse“ das ideale Fußballland „El Torado“ konstruiert. El Torado ist eine Demokratie – so wie es bei 14 der 18 bisherigen WM-Turniere und bei neun der zwölf EM-Turniere im Siegerland der Fall war. Die Durchschnittstemperatur, über das Jahr gemessen, beträgt in El Torado 14 Grad Celsius. Das entspricht in etwa den Werten von Spanien, Italien, Portugal und dem Delta des Río de la Plata zwischen Argentinien und Uruguay, der Heimat von Weltklassespielern wie Alfredo di Stefano, Diego Maradona oder Enzo Francescoli.

Nicht sehr arm, nicht sehr reich

El Torado ist überwiegend katholisch, man spricht eine romanische Sprache – so wie in fünf der sieben bisherigen Weltmeister. Wie viele Einwohner El Torado hat, ist egal. Die Forscher fanden keinen Konnex zwischen fußballerischem Erfolg und Einwohnerzahl.

El Torado ist nicht arm – reich aber auch nicht: Auf jeden seiner Bürger kam im Jahr 2002 ein BIP von 21.836 Dollar, das wären zu heutigen Preisen rund 26.200 Dollar (16.850 Euro). Zum Vergleich: Das österreichische BIP beträgt pro Kopf 32.800 Euro.

Fußballerisch hat Österreich gegenüber El Torado schlechtere Karten. Denn wenn das BIP pro Kopf El Torados Wert übersteigt, „führt jede weitere Steigerung zu einem Rückgang in der Weltrangliste“, so die Studienautoren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.06.2008)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.