Spritzentausch unerwünscht

Bürgerinitiative gegen Drogenberatungsstelle
Bürgerinitiative gegen DrogenberatungsstelleStanislav Jenis
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Massive Proteste und ein Sondergemeinderat: Am Donnerstag soll die neue Stelle der Suchthilfe in Wien eröffnen.

Während am Land die Drogenköche mehr werden – und fast filmreif Labors ausgehoben werden –, herrscht auch in Wien derzeit massive Aufregung um das Thema Drogen.

Dabei geht es aber quasi um das andere Ende der Versorgungskette, nämlich um Drogenkranke und deren Betreuung. Dass diese ab kommenden Donnerstag auch in einer neuen Einrichtung der Nußdorfer Straße beraten werden und ihre Spritzen dort tauschen können, sorgt am Alsergrund seit Wochen für ungeahnte Entrüstung und Proteste. Geschäftsleute der Gegend sprechen von Existenzängsten, zwei Bürgerinitiativen haben sich formiert – ihre Plakate oder Transparente prägen nun das hübsche Sobieskiviertel. Ihr Argument: Der Standort liege zu nahe an Schulen und Kindergärten und sei außerdem zu klein. Auch ÖVP und FPÖ stellen sich hinter die Anrainer. Wobei die FPÖ die Themen Drogensucht und Flüchtlinge verknüpft und von „Verslumungstendenzen“ im neunten Bezirk spricht.

Zwei Tage vor der Eröffnung, am Dienstag, dem 11. November, ist ein Tag der offenen Tür für Anrainer und Interessierte geplant. Die FPÖ hat parallel eine Protestkundgebung angekündigt. Am Tag darauf ist auf Antrag der FPÖ ein Sondergemeinderat zum Thema geplant. Am selben Tag gibt es eine Sondersitzung im Bezirk – die wurde ob des erwarteten Ansturms von der Bezirksvertretung in die alte Uni verlegt.


Proteste „wie seit 25 Jahren nicht“. Trotz der massiven Proteste: Das Zentrum wird am Donnerstag aller Voraussicht nach wie geplant eröffnen. Auch, wenn es ein langsamer Start sein wird. Denn, dank der massiven Kampagnen und der Berichterstattung in Medien, auf Social-Media-Plattformen und auf der Straße, seien die künftigen Klienten verunsichert, wie Roland Reithofer, der Geschäftsführer der Suchthilfe Wien sagt. Er spricht von Aufregung und Protesten, wie es sie „seit einem Vierteljahrhundert“ in Wien nicht gegen eine Suchthilfe-Einrichtung gegeben habe. Seit damals, als der Ganslwirt eröffnet wurde. Auch als der Jedmayer, das neue große Suchthilfe-Zentrum am Gumpendorfer Gürtel eröffnet wurde, war die Aufregung nicht annähernd so groß. Reithofer spricht von einer Maschinerie „professioneller Angstmache“, von politischer Instrumentalisierung der Suchtkranken und der Ängste der Angehörigen.

Mittlerweile gehe das soweit, dass vor Suchthilfe-Einrichtungen Fotos der Klienten gemacht und im Internet veröffentlicht würden. Die Suchthilfe will dem mit Information entgegenwirken – und Reithofer hofft, dass sich die Aufregung beruhigt, sobald die Stelle eröffnet ist – so, wie das meistens der Fall ist, auch damals, vor 25 Jahren beim Ganslwirt – und sich die Ängste der Anrainer nicht bewahrheiten.


Zentrum dürfte Betrieb aufnehmen. Die Gegner des neuen Zentrums stellen sich jedenfalls auf längerfristige Proteste ein – so ist etwa eine Klage von Wohnungseigentümern aus dem Haus gegen den Eigentümer der Räumlichkeiten, die derzeit zur Suchthilfe umgebaut werden, geplant. Im Bezirk dürfte dem Antrag auf Schließung der Einrichtung, den die ÖVP Mittwoch einbringen wird, wie es aussieht, nicht zugestimmt werden.

Formaljuristisch ist auch weder Bezirk noch Stadt für Schließung oder Betrieb der Stelle zuständig, da geht es um einen Vertrag zwischen Suchthilfe und Vermieter. In der Praxis steht die Suchthilfe freilich Stadt und SPÖ nahe. Diese hält am geplanten Zentrum fest. Die Standorte der Suchthilfe sollten über alle Bezirke verteilt werden, hieß es von der zuständigen Stadträtin Sonja Wehsely zuletzt, und in 13 Bezirken gebe es bereits Sucht- und Drogenberatungsstellen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.11.2014)

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