Wiener Wahlrecht: Grüne tüfteln an "wasserdichtem Antrag"

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Die Grünen wollen bei der Abstimmung "gegen alle Geschäftsordnungstricks gewappnet sein". Eine mögliche SPÖ-Blockade soll umschifft werden.

Nach der gescheiterten Wahlrechtsreform wollen die Grünen am 27. März gemeinsam mit der Opposition ein neues Verhältniswahlrecht beschließen. Die Krux dabei: Die SPÖ kann eine neue Regelung blockieren. Deshalb prüft der kleine Koalitionspartner mit Unterstützung externer Juristen bereits die konkrete Vorgangsweise, "um einen wasserdichten Antrag einzubringen", so eine Sprecherin am Montag.

"Wir schauen uns das ganz genau an", betonte sie. Dabei geht es weniger um die inhaltliche Formulierung als um das formale Prozedere: "Wir wollen gegen alle Geschäftsordnungstricks gewappnet sein." Derzeit würden verschiedene Varianten durchüberlegt bzw. mehrere Szenarien durchgespielt. Wichtig ist den Grünen jedenfalls, dass der Antrag im Landtag namentlich abgestimmt wird. Denn dann sehe man genau, wer gegen die Abschaffung des derzeitigen mehrheitsfördernden Faktors stimme bzw. sich "von der SPÖ kaufen hat lassen". Wann der Antrag und die Vorgangsweise feststehen, darauf wollen sich die Grünen noch nicht festlegen.

SPÖ hat das letzte Wort

Die Tüftelei hat einen komplexen Hintergrund: Denn auch wenn ÖVP und FPÖ mit den Grünen - die drei Parteien haben im Landtag mit 51 von 100 Mandaten eine hauchdünne Mehrheit - gemeinsame Sache machen, hat die SPÖ trotzdem das letzte Wort in Sachen Wahlrecht.

Der Grund: Abgesehen von einer regulären Regierungsvorlage gibt es zwei Varianten, ein Verhältniswahlrecht durchzubringen. Einerseits kann eine Gesetzesvorlage per Initiativantrag von mindestens fünf Abgeordneten eingebracht werden. Ein solcher Antrag braucht vor der eigentlichen Abstimmung im Landtag allerdings grünes Licht im zuständigen Ausschuss - und in diesem hat die SPÖ immer noch die absolute Mehrheit. Sie kann also das Schriftstück auf unbestimmte Zeit beraten bzw. blockieren.

Die zweite, im Hinblick auf das Wahlrecht wahrscheinlichere, Möglichkeit ist ein Abänderungs- oder Zusatzantrag. Dafür braucht es kein Okay des Ausschusses, da dieser Antrag erst während der Sitzung zu einer vorgelegten Gesetzesmaterie - also beispielsweise der von Rot und Grün schon angekündigten Beseitigung der Nachfrist für Briefwähler und des Wahlrechtsausschlusses bestimmter Strafgefangener - eingebracht werden kann. Das Problem aus Sicht der Grünen bzw. der Opposition: Darüber, ob eine Abstimmung über einen Zusatzantrag zulässig ist, entscheidet der Landtagspräsident - und den stellt mit Harry Kopietz die SPÖ.

ÖVP prüft, FPÖ wartet ab

Abgesehen von den Grünen konsultiert auch die ÖVP bereits ihre Juristen. "Wir prüfen jetzt die rechtlichen Möglichkeiten, um am 27. März zu einer Abstimmung im Landtag zu kommen", so Parteichef Manfred Juraczka, der dies mittels Abänderungsantrag für möglich hält. Denn die Ausschuss-Variante wäre jedenfalls ein "Begräbnis erster Klasse". Bei der FPÖ will man vorerst einmal auf die Vorgehensweise der Grünen warten. Sollte diese nicht den blauen Vorstellungen entsprechen, "werden wir uns was überlegen", sagte eine Parteisprecherin.

Das derzeitige Wahlrecht begünstigt die stimmenstärkste Partei - und damit die SPÖ. So konnte sie etwa 2001 mit knapp 47 Prozent die absolute Mandatsmehrheit holen. Auch bei der vergangenen Wien-Wahl 2010 kamen die Rathaus-Roten auf 49 von 100 Mandaten - mit einem Stimmenanteil von 44,3 Prozent.

APA

Der grün-schwarz-blaue Notariatsakt

Das Geheimnis der Mandatsverteilung

Nach jeder Wien-Wahl werden 100 Sitze im Gemeinderat bzw. Landtag vergeben. Das passiert in einem zweistufigen Verfahren, das in der aus 1996 stammenden Gemeindewahlordnung festgelegt ist. Im ersten Schritt geht es um die 18 Wahlkreise, in die Wien unterteilt ist. Sie sind grundsätzlich mit den Bezirken ident - mit Ausnahme des 1., 4., 5. und 6. sowie des 7., 8. und 9. Bezirks, die jeweils zu einem Wahlkreis zusammengefasst werden. In diesen Wahlkreisen werden die sogenannten Grundmandate vergeben, wobei sich deren Anzahl nach den wahlberechtigten Personen des jeweiligen Wahlkreises richtet.

Als Voraussetzung dafür braucht es die Wahlzahl. Sie legt fest, wie viele absolute Stimmen man für je ein Grundmandat braucht. Ermittelt wird sie, indem die Anzahl der abgegebenen gültigen Stimmen durch die Anzahl der zu vergebenden Grundmandate plus 1 dividiert wird. Und genau um dieses historisch gewachsene "plus 1" dreht sich die rot-grüne Debatte. Denn durch diesen Zusatz werden die benötigten Stimmen gesenkt, die Grundmandate werden also "billiger". Gibt es etwa zehn Mandate zu holen, braucht man dafür nicht zehn Prozent, sondern nur 9,09 Prozent der Stimmen.

In Flächenbezirken (z .B. Floridsdorf, Donaustadt oder Favoriten), die viele Grundmandate zu vergeben haben, ist die SPÖ traditionell stark. Sie kann folglich viele dieser "billigen" Grundmandate abschöpfen - was in der Vergangenheit dazu führte, dass die Roten mit insgesamt weniger als 50 Prozent der Stimmen trotzdem die absolute Mandatsmehrheit einheimsen konnten.

Die Grünen wollten dieses "plus 1" ursprünglich gegen Null senken, die Sozialdemokraten freilich an diesem "Verzerrer" möglichst festhalten.


Vor der letzten Wien-Wahl (2010) verpflichteten sich die damaligen Chefs der drei Oppositionsparteien, Christine Marek (ÖVP), Heinz-Christian Strache (FPÖ) und Maria Vassilakou (Grüne) per Notariatsakt, nach dem Urnengang im Falle einer Regierungsbeteiligung mit der SPÖ für eine Reform des mehrheitsfördernden Wahlrechts zu kämpfen. Ziel war, dass künftig die Mandatszahl einer Fraktion möglichst genau ihrem prozentuellen Stimmenanteil entspricht.

(APA/Red.)

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