Woran ist eine Einigung über ein neues Wahlrecht gescheitert? Selbst darüber sind sich Rot-Grün nicht einig.
War es ein Missverständnis? Oder Taktik? In der Dauerdebatte um die Wahlrechtsreform behauptete Bürgermeister Michael Häupl, die SPÖ hätte den Grünen ein Kompromissangebot gemacht, das den mehrheitsfördernden Faktor im Wahlrecht soweit reduziert hätte, dass die SPÖ zwei Mandate eingebüßt hätte. Allerdings hätten die Grünen das abgelehnt. Im „Presse“-Interview reagierte die Wiener Grünen-Chefin Maria Vassilakou irritiert: Das Angebot müsse Häupl ihrer Doppelgängerin unterbreitet haben. Sich auf minus zwei Mandate für die SPÖ zu einigen, hätten die Grünen ja gemacht. Die SPÖ habe aber abgelehnt. Nachdem, so heißt es in der SPÖ, die Grünen (entgegen der Abmachung) sofort an die Öffentlichkeit gegangen waren. Also noch vor der Abstimmung im SPÖ-Vorstand, der das Ergebnis den Medien entnehmen musste. Und empört ablehnte.
Jedenfalls lautete der ursprüngliche Kompromiss: Der mehrheitsfördernde Faktor, der +1 beträgt, sollte vor der Wien-Wahl auf 0,6 gesenkt werden. Bei folgenden Wahlen sollte dann nur noch 0,5 gelten. Im „Standard“-Interview vom Donnerstag sagte Häupl: Wir sind bis 0,66 gegangen, und 0,5 ab der Wahl 2020. Das war den Grünen zu wenig.Auf die Frage, ob das den Verlust von zwei Mandaten bedeutet, sagt er: „Das ist richtig.“
Allerdings: Das ist nicht korrekt. Geht man von dem Wahlergebnis 2010 aus, so würde die SPÖ nämlich mit 0,66 nur ein Mandat verlieren. Erst ab einer Wahlzahl von 0,61 wären es zwei, sagt Erich Neuwirth, Statistiker und außerordentlicher Professor an der Fakultät für Informatik der Uni Wien. Wobei Neuwirth zugibt, dass die Berechnung eine Unschärfe enthält, da sich nach der Wahl 2010 die Aufteilung der Mandate auf die Wahlkreise geändert hat. Laut Berechnungen der Grünen verschärft diese Neuregelung die Lage. Nunmehr würde die SPÖ erst ab 0,54 ihr zweites Mandat verlieren.
Bei der SPÖ gibt man inzwischen zu, dass ein Fehler unterlaufen ist. Statt 0,66 (wie im Interview) wären 0,6 gemeint. Auch sonst habe man es anders gemeint: Die Grünen hätten zahlreiche SPÖ-Angebote abgelehnt. Darunter einen Kompromiss an der Schmerzgrenze: 0,6 bei allen künftigen Wahlen. Davon wissen die Grünen nichts. Dieses Angebot hätte man nie erhalten, heißt es: Man würde es, da es der SPÖ nur ein Mandat koste, auch nicht annehmen – aber das grüne Angebot (minus zwei SPÖ-Mandate) sei weiter aufrecht. Damit gilt, was die Chef-Verhandler Georg Niedermühlbichler (SPÖ) und David Ellensohn (Grüne) nach dem Scheitern erklärten: „Wir sind uns einig, uns nicht einig zu sein.“
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.02.2015)