"Alijew-Prozess": Mordanklage gegen Toten

Die beiden Angeklagten Vadim K. (l.) und Alnur Mussajew, ehemaliger kasachischer Geheimdienstchef
Die beiden Angeklagten Vadim K. (l.) und Alnur Mussajew, ehemaliger kasachischer GeheimdienstchefAPA/ROLAND SCHLAGER
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Rachat Alijew ist tot, doch alle reden vom "Alijew-Prozess". Heute fällt in Wien der Startschuss: ein Kasachen-Krimi als Gerichtsstück.

Wien. Am heutigen Dienstag, 9 Uhr, hat er also begonnen, der „Prozess des Jahres“ – wie die meisten Beobachter vorweg befinden. Der „Alijew-Prozess“, um es konkreter zu machen. Die Sache ist allerdings: Der Hauptakteur, zugleich der Namensgeber dieses Strafverfahrens, der kasachische Ex-Botschafter Rachat Alijew, ist gar nicht mehr am Leben. Der 52-Jährige wurde vor einigen Wochen in kleinem Kreis am Wiener Zentralfriedhof beerdigt.

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Es war der Morgen des 24. Februar 2015, ab diesem Tag war in dem international viel beachteten Kriminalfall alles anders: Ein Justizwachebeamter findet den wegen des Verdachts des Doppelmordes in U-Haft befindlichen Diplomaten erhängt auf. Schauplatz der Tragödie: Alijews Einzelzelle im Gefangenenhaus Wien-Josefstadt.

Befunde fehlen

Eine erste Obduktion und auch eine erste Untersuchung innerhalb des Gefängnisses ergeben keine Hinweise auf Fremdverschulden. Die Toxikologie liefert aber vorab Anhaltspunkte dafür, dass Alijew Schlafmittel im Blut gehabt haben könnte. Noch immer steht der endgültige Befund der Wiener Gerichtsmedizin aus. Ebenso der aus dem Schweizer St. Gallen; diese Stelle wurde eingeschaltet, um doppelte Sicherheit zu haben.

Wie lange dauert der Prozess?

Der Auftakt des Geschworenenprozesses geht am Dienstag, 14. April, im historischen Großen Schwurgerichtssaal des Landesgerichts für Strafsachen Wien über die Bühne. Geleitet wird die Verhandlung von dem erfahrenen Richter Andreas Böhm. Die Anklage wird von Staatsanwältin Bettina Wallner vertreten.

Vorerst sind 27 Verhandlungstage ausgeschrieben: neun im April, elf im Mai, sieben im Juni. Freilich könnten Beweisanträge eine Vertagung bewirken. 90 Zeugen sind bereits geladen. Einige von ihnen sitzen jedoch in Kasachstan in Haft. Weil die kasachischen Behörden befürchten, sie könnten in Österreich um Asyl ansuchen, erhalten sie keine Reisegenehmigung. Mit ihnen soll daher eine Befragung per Videokonferenz durchgeführt werden.

Da klarerweise das Alijew-Verfahren mit dem – wenn auch noch nicht restlos aufgeklärten – Tod des Beschuldigten beendet war (die Alijew-Anwälte brachten zuletzt die geheimnisvolle Version „Suizid auf Verlangen“ vor), rückte schlagartig ein gewisser Alnur Mussajew in den Mittelpunkt. Der 61-jährige Kasache, der seit 2007 in Wien-Ottakring lebt bzw. lebte – derzeit ist er auch in U-Haft – war kein Geringerer als der Leiter des kasachischen Geheimdienstes KNB. Und ein Freund von Alijew. Auch ihm wird Doppelmord vorgeworfen. Gemeinsam mit dem einstigen Botschafter und dessen Leibwächter Vadim K. (42) – er ist nun die Nummer zwei auf der Anklagebank – soll der Ex-KNB-Boss am 9. Februar 2007 im kasachischen Almaty die beiden Nurbank-Manager Zholdas Timralijew und Aybar Khasenov erdrosselt haben.

Die Anklageschrift (siehe Artikel) gibt – stark vereinfacht – finanzielle Motive an, wenngleich diese gerade bei Mussajew (Alijew saß selbst im Nurbank-Vorstand, Mussajew nicht) etwas holprig wirken bzw. nicht klar herausgearbeitet scheinen.

Dies zu beurteilen obliegt den Geschworenen. Fest steht: Die beiden Beschuldigten werden sich nicht schuldig bekennen. Von Freisprüchen bis hin zu zweimal lebenslanger Haft ist alles möglich. Fest steht auch: Es ist ein seltsamer Prozess. Ein Prozess mit zwei großen Auffälligkeiten. Als da sind:

Wie kann überhaupt ein Fall umfassend und in öffentlicher Verhandlung erörtert werden, dessen Hauptfigur tot ist? Indem sich die Anklage auf die beiden anderen Verdächtigen stützt. Da deren Schuld oder Schuldlosigkeit jedenfalls gerichtlich geprüft werden muss, bleibt der Justiz auch nichts anderes übrig. Jedoch verleiht der Tod Alijews dem Verfahren eine Art Dynamik: Die verbleibenden Beschuldigten können nämlich ihre Verantwortung nun adaptieren. Hart ausgedrückt: Es besteht zumindest die theoretische Chance, dem Toten etwas in die Schuhe zu schieben.

Fragt man Martin Mahrer, den Anwalt von Mussajew, so ist dies aber nicht beabsichtigt. Sein Klient habe sich nicht am Mord der Banker beteiligt. Mussajew sei auch insofern nur eine Randfigur, als es der kasachischen Führung in erster Linie auf die Verfolgung von Alijew angekommen sei. Dieser sei als politischer Konkurrent von Nasarbajew gesehen worden.

Tat im Ausland, Prozess in Wien

Warum Österreich in den Fall eingestiegen ist, liest sich angesichts der Umstände (unbeabsichtigt) zynisch: Eben weil Alijew – er war der Schwiegersohn des kasachischen Langzeit-Despoten Nursultan Nasarbajew – in seiner Heimat kein faires Verfahren erwarten konnte, hat die Republik Österreich, wo Alijew um Asyl warb, die Strafverfolgung übernommen.

Freilich gingen Österreichs Behörden auch davon aus, die körperliche Sicherheit des Diplomaten gewährleisten zu können. Niemand rechnete mit einem Suizid. Verhindern habe sich dieser aber nicht lassen, heißt es nun in einer gewissen Hilflosigkeit. Zwei Auslieferungsverfahren hat Kasachstan angestrengt – ohne Erfolg. Juristisch – durchaus erfolgreich – vertreten wurde Alijew in diesen beiden Verfahren übrigens von Wolfgang Brandstetter, dem heutigen ÖVP-Justizminister.

Als klar war, dass es mit der Auslieferung nichts wird, wählte die kasachische Generalstaatsanwaltschaft in Astana eine interessante Vorgangsweise: Sie engagierte den bekannten Wiener Anwalt Richard Soyer. Dieser – seine Kanzlei ist eigentlich dafür bekannt, Opfer von Menschenrechtsverletzungen zu vertreten – fungiert nun als verlängerter Arm Kasachstans, als Bindeglied zwischen den kasachischen Behörden und der Wiener Justiz.

Wollen Anklage und/oder Gericht zum Beispiel, dass ein kasachischer Zeuge rasch und unbürokratisch einfliegt, wenden sie sich an Soyer. Dieser macht möglich, was ein internationales Rechtshilfeersuchen wohl kaum schaffen würde: Der Zeuge kommt nach Wien. Ob sich der Eifer Kasachstans wirklich auf alle möglichen Be- und Entlastungszeugen erstreckt, lässt sich freilich nicht mit letzter Sicherheit eruieren.

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