Jede fünfte Frau Opfer von Gewalt

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Rund 8600 Beratungen führte der Frauennotruf im vergangenen Jahr durch. Für psychische Gewalt fordert Stadträtin Frauenberger einen gesetzlich verankerten Straftatbestand.

Wien. Wien gilt als eine der sichersten Städte der Welt – dennoch ist jede fünfte Frau schon einmal von Gewalt betroffen gewesen. Der 24-Stunden-Notruf der Stadt Wien verzeichnet insgesamt 8568 Beratungen, die vergangenes Jahr von den neun Mitarbeiterinnen durchgeführt wurden – mehr als je zuvor. Davon wurden 6699 Gespräche telefonisch geführt, 1086 persönlich und 783 online. Mehr als 100-mal standen Juristen des Notrufs Frauen bei Gerichtsprozessen als Begleitung bei.

„Gewalt an Frauen hat weder etwas mit dem Alter, noch mit der Nationalität oder der Bildung zu tun – das gibt es quer durch alle Schichten“, sagt Martina Sommer, Leiterin des Notrufs. Entgegen dem Klischee seien auch nur ein Viertel der Anruferinnen Migrantinnen. Beinahe 80 Prozent der Frauen hätten einen höheren Abschluss als die Pflichtschule, 15 Prozent sogar einen Hochschulabschluss. 60 Prozent der Klientinnen waren 20 bis 39 Jahre alt, 20 Prozent 40 bis 59 Jahre und drei Prozent über 60 Jahre. 17 Prozent waren unter 20.

Am häufigsten hätten sich Frauen gemeldet, die Opfer von körperlicher Gewalt wurden. Das betraf 40 Prozent der Fälle im Jahr 2014. Vor allem Partner und Ex-Partner seien Täter. Anders gestaltet sich das Täterprofil bei sexualisierter Gewalt, der zweitgrößten Gruppe an Gewaltdelikten. 32 Prozent der Beratungen wurden dazu durchgeführt. „Täter sind meist flüchtige Bekannte oder Verwandte sowie Fremde“, sagt Sommer. Vor allem Opfer dieser Gruppe würden oft lange Zeit brauchen, um sich zu überwinden, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Rund ein Viertel der Opfer von Sexualdelikten meldete sich erst ein Jahr nach der Tat – dagegen würden sich Frauen, denen körperliche Gewalt widerfahren ist, meist schon innerhalb von zwölf Stunden melden.

Die dritte Gruppe an Hilfesuchenden ist jene, der psychische Gewalt widerfahren ist. „Das geht von ständigen Beschimpfungen, Diffamierungen bis hin zu regelrechtem Terror, etwa durch ständige Anrufe“, sagt Sommer. Insgesamt seien davon 28 Prozent ihrer Klientinnen betroffen gewesen.

Die Wiener Stadtregierung brachte im letzten Landtag einen Resolutionsantrag ein, dass psychische Gewalt als eigener Straftatbestand aufgenommen werde – bei der gerade durchgeführten Novelle des Strafrechts wurde das nicht berücksichtigt. „Das wäre aber nicht nur für die Opfer wichtig, sondern auch für die Täter ein Signal. Sie sollen wissen, dass das, was sie tun, nicht nur ein Kavaliersdelikt ist“, sagt Sommer. Ebenso in diesem Resolutionsantrag enthalten ist die Forderung, dass Männer nach einer Wegweisung verpflichtend ein Anti-Aggressionstraining machen müssen. „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Männer, die so etwas absolviert haben, zu 70 Prozent nicht mehr rückfällig werden“, sagt Stadträtin Sandra Frauenberger, in deren Ressort der Frauennotruf fällt. Dazu will sie verpflichtende Fortbildungen für Richter und Staatsanwälte.

Zivilcourage gefordert

Die steigenden Anrufzahlen sind für die Hotline einerseits ein Erfolg, weil sich mehr Frauen Hilfe holen – andererseits sind sie aber auch alarmierend. Darum startet die Stadt mit Ende des Monats eine Sensibilisierungskampagne. Themenschwerpunkt ist „Sicherheit im öffentlichen Raum“. Verteilt werden unter anderem Informationen im Scheckkartenformat für die Geldbörse, auf dem die Nummer des Notrufs (01/71719) steht. „Der Frauennotruf ist nicht nur für Opfer da, sondern auch für jene, die Gewalt beobachten wie etwa Angehörige oder aber auch Zeugen auf der Straße“, sagt Frauenberger. „Das Allerwichtigste ist, nicht wegzusehen. “

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.08.2015)

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