Josefstadt: Der Bezirk, in dem man zu Hause ist

Das altehrwürdige Theater in der Josefstadt ist das eigentliche Herz des achten Bezirks.
Das altehrwürdige Theater in der Josefstadt ist das eigentliche Herz des achten Bezirks.(c) FABRY Clemens
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Es ist ein sehr junger Bezirk, es ist aber auch ein sehr ehrwürdiger, alter Bezirk. Und es ist ein Bezirk, der auch für die, die schon lang nicht mehr hier wohnen, Heimat bleibt. Wo genau sonst sollte man eigentlich zu Hause sein?

Wien. Man kann sehr lang in der Josefstadt wohnen und wird doch kein Josefstädter. Zumindest nicht für die Josefstädter. Sie leben seit mindestens drei Generationen hier, und wenn sie nicht mehr da wohnen, dann sind sie immer noch Josefstädter geblieben und kommen auf einen Kaffee ins Café Hummel oder auf einen Toast ins Café Strozzi und sind dann wieder daheim, wenn auch nur kurz. Wer einmal hier gewohnt hat, wird nirgends anders mehr richtig zu Hause sein.

Jedes Eck hier, jedes Detail gehört zur zwar zusammengewürfelten, aber in sich stimmigen Inneneinrichtung des kleinsten Bezirks Wiens. Der achte Bezirk misst 1,09 Quadratkilometer und nur, wenn man vom Gürtel zum Ring geht, kann man länger als zehn Minuten zu Fuß im Bezirk unterwegs sein. Sonst ist man gleich am Alsergrund, oder in Ottakring, oder in Hernals, oder in Neubau.

Diese Fußgängerzone

Überhaupt, die Neubaugasse. Die heißt im achten Bezirk Lederergasse und dann für zwei Blöcke Strozzigasse, ehe sie im siebten zur Neubaugasse wird. Die Josefstädter haben mit der Neubaugasse nichts zu tun. Auch nicht mit der Mariahilfer Straße. Aber sie leiden unter den Auswirkungen der Fußgängerzone, Stichwort mehr Verkehr.

Da man so schnell wieder herausfällt aus dem Achten, muss man zu Fuß gehen, um den Bezirk richtig zu spüren. Zwar rast ab und zu ein Radfahrer vorbei, aber die leben selbst gefährlich, weil zumindest die Josefstädter Straße den Gleisen gehört. Dass der J-Wagen in der neu geführten (und viel längeren) Strecke der Linie 2 aufging, sorgt übrigens auch nach mehr als sieben Jahren für anhaltenden Unmut. Die Intervalle sind unregelmäßig, die Garnituren überfüllt. Eng wird es vor allem für ältere Josefstädter aber auch zunehmend auf den Gehsteigen, weil immer mehr Kinderwagen und Laufräder (mit Kleinkindern drauf) ihren Raum fordern. Parkplätze werden besser gar nicht erwähnt, es gibt nämlich keine. Wer hat, der hat Garagenplatz.

Es ist ein sehr junger Bezirk, wenn man die vielen Kinder und jungen Familien sieht. Es ist ein sehr ehrwürdiger, alter Bezirk, wenn man den sorgsam gekleideten und ausgesucht höflichen älteren Bewohnern auf ihren Wegen begegnet. Es ist ein grüner Bezirk mit sehr deutlichen Lifestyle-Anklängen einer jungen, finanzstarken, trendbewussten Klientel. Es ist ein konservativer Bezirk, bürgerlich im wahrsten Sinn. Es passt trotzdem alles irgendwie zusammen, sie finden ein Auslangen, die Hofräte und Damen, die Familien und die jungen Männer mit den alten Bärten. Der Fleischhauer in nächster Nähe zum veganen Spezialgeschäft, das Kaffeehaus und die neue Bar. Alles im josefstädtischen Flow.

Apropos Flow wie Florianigasse. Die ist sehr typisch für den Achten, mit ihrem Mix aus Gastronomie und Spezialgeschäften und schönen Fassaden, aber man spürt ihr schon an, dass der Alsergrund näher rückt, mit seiner mehr zweckmäßigen Geschäftigkeit. Dazwischen sorgen noch der Schönbornpark und das Volkskundemuseum für eine Oase, deren Ruhe von außen nicht erkennbar ist. So wenig Platz der Achte hat, so viele Plätze hat er im Gegenzug: Albertplatz, Bennoplatz, Schlesingerplatz und wie sie alle heißen. Nur der Piaristenplatz aber verdient seinen Namen, er könnte auch eine Piazza in Italien sein.

Das meiste Grün findet sich auf den Standln des samstäglichen Biomarkts in der Lange Gasse und in versteckten Gastgärten. Der extrem dicht verbaute Bezirk hat nur knapp zwei Prozent Grünanteil. Und der ist meist für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Um die Nutzung der Gartenanlage des Palais Strozzi wird nun schon so lange verhandelt, dass es sich möglicherweise für die Enkel der Jungeltern von heute ausgehen könnte. Die freuen sich indessen über die kürzesten Schulwege in Wien – es gibt vier Volksschulen, mehrere Gymnasien, Handelsakademien und andere Bildungsanstalten.

Über eine andere Anstalt, die Justizanstalt in der Wickenburggasse (das Graue Haus), verliert man übrigens nicht so viele Worte, wenn geplaudert wird, vor allem am Samstagvormittag, wenn man seine Erledigungen macht, einmal die Josefstädter Straße rauf und runter, vorbei am Herz des Bezirks, dem Theater, das die Josefstadt ist. Als Claus Peymann mit Thomas Bernhard die Republik durchschüttelte, galt das Theater in der Josefstadt noch als so etwas wie der österreichische Gegenentwurf zur von den Deutschen übernommenen Burg. Seit vielen Jahren nun hat Thomas Bernhard auch im Achten die Heimat gefunden, die er nie wollte. Die Zuseher schätzen es. Zum Stammpublikum haben sich neue Besucher gemischt, manchmal wogt noch ein bisschen Empörung durch die Premierenränge, aber Direktor Herbert Föttinger weiß, wie er die Josefstadt bei Laune hält.

Mitten im Achten

Etliche Schauspieler arbeiten nicht nur, sondern wohnen auch hier, sie sind es gewohnt, erkannt zu werden, man kennt sich, man nickt sich zu, das gehört zum guten Ton. Und niemand verrät, wo der Sowieso seinen Käse einkauft. Sollten Sie dem Bundespräsidenten begegnen, ist das auch kein Zufall. Heinz Fischer wollte seinen Wohnsitz nicht wie seine Vorgänger in die Bundespräsidentenvilla auf die Hohe Warte in Döbling verlegen. Er wohnt weiterhin mitten im Achten. Wo sonst eigentlich kann man in Wien zu Hause sein?

Serie: Wiens Bezirke

Bis zur Wien-Wahl am 11. Oktober porträtiert die ''Presse'' nach und nach alle 23 Wiener Bezirke. Die bisherigen Porträts finden sie unter diepresse.com/bezirke

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.10.2015)

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