Ottakring? Alles wie immer

Wie hat sich das Leben in Ottakring verändert? Und hat es das überhaupt? Darüber wird im Bezirk (und auch außerhalb) diskutiert.
Wie hat sich das Leben in Ottakring verändert? Und hat es das überhaupt? Darüber wird im Bezirk (und auch außerhalb) diskutiert.Jenis / Die Presse
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Angeblich ist Ottakring jetzt gefährlich geworden. Allerdings: Nicht alle Bewohner sehen das so.

Manchmal trennen mich von meinen Grätzelnachbarn nur wenige Straßen – seit Kurzem sind es allerdings Welten. Wann immer das Thema Ottakring aufkommt (und das tut es oft) erzählen manche, dass alles schlimmer geworden ist. Rund um den Brunnenmarkt, die Thaliastraße, die Ottakringer Straße. Ein paar zusätzliche Stimmen im allgemeinen Abgesang auf den Sechzehnten. Und jedes Mal denke ich: Reden wir wirklich vom selben Ort? Über Nacht ist mein Bezirk offenbar zum gefährlichsten Wiens geworden. Und ich habe nichts davon bemerkt. Wenn ich auf die Straße gehe, dann ist sie noch immer gleich sauber oder dreckig wie vor einem Jahr, als Ottakring noch als Multikulti-Vorzeigebezirk gefeiert wurde. Gefühlt hat sich der Bezirk auf der Trendskala in den vergangenen Jahren gut entwickelt. Mittlerweile gibt es veganes Dürüm in der Thaliastraße, die Ottakringer Straße wurde erneuert, neue (gute) Lokale haben aufgemacht, türkische Restaurants den Brunch entdeckt und der Yppenplatz ist an einem Sommerabend so voll, dass fast kein Platz zu kriegen ist. Der Unterschied zu früher?

Seit Neuestem ist die Kriminalität sichtbar und passiert vor den Haustüren jener Menschen, die sich zur urbanen Mittelschicht zählen. Wer jetzt auf die Straße geht, sieht Schwarzafrikaner, die, möglich gemacht durch einen verunglückten Gesetzestext, ganz öffentlich mit Drogen dealen, was viele von ihnen davor versteckt getan haben. Hinzu kommt ein Unsicherheitsgefühl, das die ganze Stadt gepackt hat, seit im Vorjahr viele Flüchtlinge kamen – und man nun bemerkt, dass unter Tausenden Menschen erstens auch schwarze Schafe sind und zweitens, dass sich das romantisch verklärte Bild vom Flüchtling, der sich schmutzstarrend über die Landesgrenze wirft und sein Leben lang jedem Österreicher dankbar ist, nicht lückenlos anwenden lässt. Dabei hätte man sich schon vorher fürchten können. Ottakring war noch nie eine Insel der Seligen. 2014 wurde ein Mann mit einer Handgranate ermordet, 2006 wurden laut APA „serienweise junge Frauen in Wien überfallen“, nur um Beispiele zu nennen. Die neun Jahre, die ich hier wohne, gab es Schüsse, Überfälle und Morde – vor einem halben Jahr wurde etwa eine Transsexuelle erwürgt. Löste das in der Nachbarschaft Angst aus? Führte das zu einem Run auf Pfefferspray? Nein. Am Tag danach war die Straße genauso belebt wie immer. In der Nacht gingen die Männer mit ihren kleinen Hunden äußerln, Mädchen stöckelten in High Heels am Tatort vorbei.

Verlorenes Vertrauen

Jetzt soll alles anders sein. Viele Frauen tragen Pfefferspray, Eltern holen ihre Kinder von der U-Bahn ab. Die Angst hat um sich gegriffen. Die Polizei zeigt zwar mehr Präsenz, trägt aber nicht unbedingt zur Aufklärung der Bevölkerung bei. Kriminalitätsstatistiken, aufgeschlüsselt nach Delikten und Bezirken, gibt sie nicht her. Weil dann könne man die Bezirke vergleichen, so ein Sprecher. Ich darf also wissen, in welchem Bezirk hohe Arbeitslosigkeit herrscht, aber nicht, wie sich die Kriminalität entwickelt. So hat man wenig Argumente, um die tatsächliche Situation zu beschreiben, man muss sich auf Einzelfälle beziehen.

Das führt dazu, dass im Bezirk zerstört wird, was ihn auszeichnet: das Vertrauen, dass er im Großen und Ganzen sicher ist. Das wohlwollende Nebeneinander verschiedener Kulturen. Die Thaliastraße war etwa in der Nacht schon immer belebt. Wer sich von der Hysterie anstecken lässt, kann jetzt hinter jedem Mann, der in der Nacht die Straße kreuzt, einen Verbrecher sehen. Und vergisst, dass mehr Leute auf der Straße meist auch mehr Sicherheit bedeuten.

>> Ein Bezirk, zwei Welten. Lesen Sie hier die andere Position: "Au revoir, Ottakring"

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21. Mai 2016)

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