Kampfsport gegen die "Marke der Bösen"

Bisaev in der Brigittenauer Wohnanlage, in der er sein Vereinslokal betreibt.
Bisaev in der Brigittenauer Wohnanlage, in der er sein Vereinslokal betreibt. Die Presse/Clemens Fabry
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Tschetschenen haben mit einem schlechten Image zu kämpfen. Wie Adam Bisaev versucht, den Ruf zu verbessern und Jugendliche von Gewalt oder Jihad fernzuhalten.

Bandenkriminalität, Jihadisten, Jugendliche, die sich als islamische Sittenwächter aufspielen und mit denen man sich nicht anlegen sollte – sitzen doch die für den Kampfsport trainierten Fäuste oder die Messer locker. Geht es um Tschetschenen – das öffentliche Bild ist ein schlechtes. „Tschetschenen sind eine Marke für Böses; wenn etwas passiert, über das man sonst nicht einmal berichten würde, greift man in diese Schublade“, sagt Adam Bisaev. Für dieses Image habe, so sagt er, nicht die Community mit 30.000 Tschetschenen in Österreich gesorgt, das hätten schon die Russen zu Kriegszeiten aufgebaut.

„Wenn etwas passiert, dann sind 0,1Prozent der Tschetschenen vielleicht in so etwas involviert. 99,9 Prozent leiden darunter“, sagt Bisaev. Er, selbst Tschetschene und seit zwölf Jahren in Wien, hat gegen das schlechte Image und gegen Probleme mit Jugendlichen etwas unternommen. In Wien hat er erst einen Karateklub aufgemacht und ist dann via Sport zur sozialen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen gekommen. Mittlerweile arbeitet er mit dem Bezirk zusammen, ist Ansprechpartner bei Problemen und betreibt das Zentrum für Bildung und Sport Latar Do und den Verein Toleranz.

„Die Kampfkunst ist ein starkes Erziehungssystem.“ Junge Tschetschenen (vorwiegend Burschen, aber auch Mädchen) kommen erst, weil sie stark sein, kämpfen wollen. „Aber dann lernen sie etwas anderes. Latar Do basiert auf Karate, Judo und Jiu-Jitsu – und damit auf der japanischen Philosophie.“ Es gehe um Disziplin und Respekt, sich selbst und seine Aggressionen zu kontrollieren, um Selbstreflexion, darum, „ein besserer Mensch zu werden“.


Durch den Krieg sei viel durcheinander.Mittlerweile wird die von ihm mitentwickelte Kampfsportart an vier Orten in Wien trainiert. Daneben arbeitet er mit Jugendlichen in Workshops: Einmal pro Woche kommen sie in dem Souterrainlokal in der Brigittenau zusammen, um über das Image der Tschetschenen, Integration, Gewalt oder Religion zu reden. Denn, Probleme will auch Bisaev nicht leugnen. „Durch den Krieg ist viel durcheinandergekommen“, sagt er und spricht von einer „Machokultur“, davon, dass die Jugendlichen sich mit ihrer eigenen Geschichte und ihrer Religion oft kaum auskennen – und so Feindbilder entstehen. Oder mit dem Widerspruch der Leben in Tschetschenien und Österreich. Vorfälle wie jener in der Millennium City zeigen das: Junge Tschetschenen wollten als eine Art Sittenwächter Mädchen abends nach Hause schicken. Der Vater, der zu Hilfe kam, wurde krankenhausreif geprügelt. „In Tschetschenien sind Frauen nach 22 Uhr nicht mehr allein auf der Straße. Disco, freier Sex, das geht in unserer Religion nicht“, sagt Bisaev, der meint, eines führe da zum anderen, und die Einstellung vertritt, auch in Wien sollten tschetschenische Frauen nachts nicht allein unterwegs sein. „In Tschetschenien wäre es akzeptiert, dass einBruder eine Frau nach Hause schickt. Hier müssen die Jugendlichen verstehen, dass das akzeptiert ist, sie sich nicht einmischen dürfen.“ Integration, das heißt für ihn, eigene Werte zu leben, sich anzupassen, aber sich nicht zu assimilieren. Ein Balanceakt.

Auch, wenn es um Religion geht: Viele Jugendliche würden die Religion nicht kennen, seien beeinflussbar. Bisaev – er selbst kennt Tschetschenen, die in den Jihad gefahren sind – versucht, Jugendlichen den Kern des Islam, wie er ihn sieht, nahezubringen: „Es geht um Humanität, Hilfsbereitschaft, Gerechtigkeit.“ Für Gewalt gebe es keine Rechtfertigung. Auch nicht für Kriege zwischen Volksgruppen.

Daran arbeitet seit zwei Jahren auch der Rat der Tschetschenen und Inguschen in Österreich, den Bisaev mitinitiiert hat. „Zuvor gab es keine offiziellen Ansprechpartner“, sagt Bisaev. Vielleicht auch deshalb wurde das Problem der vielen Ausreisen in Richtung Syrien etwas „übersehen“. Nun trifft sich der Rat einmal pro Woche, „Multiplikatoren“ der Community arbeiten auch abseits daran, etwa mit Afghanen.

Schließlich ist es zwischen rivalisierenden Banden aus Tschetschenen und Afghanen schon zu Schlägereien und Messerstechereien gekommen. „Es sind Revierkämpfe, wie es sie unter Jugendlichen immer gibt. Das Problem bei Tschetschenen oder Afghanen ist, dass sie schnell ein Messer zücken“, sagt Bisaev und erklärt sich das auch mit den Kriegs- und Gewalterfahrungen in der Heimat. Seit der Massenschlägerei am Handelskai treffen sich Vertreter des Tschetschenenrats mit Vertretern der Afghanen, etwa einflussreichen Leuten aus Moscheen. Nun sind gemeinsame Veranstaltungen geplant, ein Fastenbrechen etwa oder Grillereien, damit weitere Bandenkonflikte verhindert werden – und damit nicht ein Gewaltimage zur einzigen Gemeinsamkeit der Communitys wird.

Steckbrief

Adam Bisaev war in seiner Heimat Bauingenieur oder in der Stadtverwaltung von Grosny tätig.

Vor zwölf Jahren, der zweite Tschetschenien-Krieg war auf einem Höhepunkt, ist er nach Wien gekommen. Auch, um politisch-diplomatisch für Tschetschenien zu arbeiten.

Mit seinem Karateklub ist er zur sozialen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen gekommen. Heute betreibt er in Wien das Zentrum für Bildung und Sport Latar Do und den Verein Toleranz.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.05.2016)

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