Junge Afghanen gehen für ihre Familien auf den Strich

Symbolbild obdachlose Jugendliche
Symbolbild obdachlose JugendlicheDie Presse/Clemens Fabry
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Prostitution von jungen Obdachlosen gibt es immer wieder. Vor allem junge afghanische Flüchtlinge wollen so schnelles Geld.

Thomas Adrian ist mit 35 Jahren hundertfacher Vater – zumindest für kurze Zeit. Er ist Leiter der Caritas-Notschlafstelle Away und oft die letzte Anlaufstation für Jugendliche, die nicht mehr wissen, wo sie hinsollen.

In der Einrichtung am Westbahnhof gibt es insgesamt zehn Schlafplätze – sechs für Burschen und vier für Mädchen. Das Publikum ist zwischen 15 und 20 Jahre alt. Im Jahr 2015 suchten insgesamt 569 Jugendliche Hilfe bei Away. 249 davon waren österreichische Staatsbürger, 163 kamen aus Drittstaaten, bei 73 war die Nationalität nicht bekannt – und relativ viele kamen aus Rumänien, der Slowakei und Ungarn. Das ist auch auf die Armutsmigration zurückzuführen, die sich seit Jahren in Europa abzeichnet. „Die Gründe, warum jemand bei uns landet, sind genauso vielfältig wie die Ausreden“, sagt Adrian, der oft hört, dass jemand nur den Schlüssel vergessen hätte und gar nicht obdachlos sei.


Anonyme Hilfe. Bei Away wird nicht gefragt. Die Stelle ist anonym und kostenlos. Wenn die Jugendlichen reden wollen, dann ist jemand da. Dieses Angebot nützen die meisten auch früher oder später: „Wir versuchen behutsam eine Beziehung aufzubauen, um eine Lösung mit ihnen entwickeln zu können“, sagt Adrian. Eigentlich dürfen die Jugendlichen nur fünf Tage im Monat hier bleiben. Ziel ist es, in dieser Zeit eine dauerhafte Lösung zu finden. „Wenn die Jugendlichen mitarbeiten, dürfen sie auch ein paar Nächte länger bleiben.“

Als Hauptgründe für prekäre Wohnsituationen – das bedeutet, dass Jugendliche zumindest immer wieder obdachlos sind – sieht Adrian vor allem zwei Tatsachen: „Unser Kernpublikum hat meist Streit und Gewalt in der Familie erlebt – Drogen und Spielsucht sind häufig Folgen davon. Weiters gibt es zu wenig leistbaren Wohnraum für Jugendliche, die ihr Zuhause verlieren – vor allem für jene, die knapp über 18 sind.“

Dass sich obdachlose Jugendliche immer wieder auch prostituieren – oder ihre Lebenssituation an der Grenze zur Prostitution ist, dieses Phänomen kennt man hier auch. So gebe es etwa deutlich weniger obdachlose Mädchen als Burschen – diese würden, um ihre prekäre Wohnsituation zu lösen, unter Umständen bei älteren Männern wohnen, mit denen sie als Gegenleistung schliefen.


Prostitution für die Familie. Das bestätigt auch die Wiener Polizei. Dass sich jugendliche Obdachlose prostituieren, komme vor allem im Bereich des Straßenstrichs und der Wohnungsprostitution vor. Konkret komme es aber kaum zu Anzeigen, da es sich in der Regel um keine Opfer der Zwangsprostitution handele. Die Anbahnung finde auf dem illegalen Straßenstrich und via Internetseiten statt. Wenn die Polizei Jugendliche aufgreift, die sich prostituieren, kommen sie in die Drehscheibe, eine Einrichtung der Stadt.

Relativ neu ist aber das Phänomen, dass sich afghanische minderjährige Flüchtlinge prostituieren. Gabriele Rasuly-Paleczek, Afghanistan-Forscherin auf der Universität Wien, sagt dazu: „Studien gibt es dazu keine, aber man hört das immer wieder – auch von Kollegen aus Deutschland.“ Grund dafür sei wohl hauptsächlich, dass die Jugendlichen seitens ihrer Familien einen großen Druck bekämen, Geld nach Hause zu schicken. „Sie wollen schnelles Geld. Darum lehnen Jugendliche auch immer wieder Lehrstellen ab und werden lieber Tellerwäscher – oder verkaufen eben Drogen oder prostituieren sich.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.08.2016)

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