Sonja Wehsely, Wiens rote Reizfigur

Sonja Wehsely
Sonja Wehsely(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die grüne Vizebürgermeisterin, Maria Vassilakou, wurde als Reibebaum abgelöst. Derzeit polarisiert keine mehr als die SPÖ-Gesundheits- und Sozialstadträtin.

Dass Politiker nicht beliebt sind, ist nicht neu. Aber es gibt Abstufungen – zwischen „mag ich nicht“ und „geht gar nicht“. Sonja Wehsely fällt für nicht wenige in die zweite Kategorie. Sie ist in dieser Hinsicht quasi die neue Maria Vassilakou. Keine andere Wiener Politikerin polarisiert so.

Das ist zunächst keine Überraschung. Denn beinah alles, was aufregt, ressortiert bei der Gesundheits- und Sozialstadträtin: der Streikstreit rund um die Arbeitszeit der Spitalsärzte, das teure Spital Wien Nord, die Mindestsicherungsdebatte, das Megathema Flüchtlinge, die (fehlende) Kontrolle der islamischen Kindergärten. Indirekt sogar die rote Wahlniederlage in der Leopoldstadt – Wehsely ist dort Bezirksparteivorsitzende.

All das würde schon reichen, aber da ist noch mehr. Man beschreibt es am besten mit einer Wolke von Adjektiven zusammen, die Wehsely treu umgibt: (über)ehrgeizig, stur, undiplomatisch. Pars pro toto steht der „Geh bitte“-Sager, mit dem sie Sebastian Kurz bei einem Interview unterbrach. Auch in der eigenen Partei sieht man sie ambivalent: Sie sei „sehr gescheit, aber nicht sozial intelligent“, so ein Stehsatz. Ihr interner Spitzname: „Streberin“.

Sonja Wehsely weiß das. Das meiste begleitet sie, die fast in Mindestzeit Jus studiert, daneben ein Kind bekommen und ein zweites Studium begonnen hat, schon lang. Einiges bereits seit ihrer Zeit bei der Sozialistischen Jugend (SJ), zu der sie die spätere Staatssekretärin Brigitte Ederer holte. Manches ist erst zuletzt dazugekommen. „Natürlich bekomme ich total arge Mails“, sagt Wehsely. Der Inhalt? „Abwertendes, meist sexuell konnotiert – wie so oft, wenn es um Frauen geht.“ Für Wehsely ist das ein wichtiger Punkt. Denn dass sie so polarisiert, führt sie vor allem auf ihr Frausein zurück: „Frauen in Führungspositionen werden immer noch anders bewertet. Bei einem Mann findet man es gut, dass er für seine Ziele eintritt. Bei einer Frau sagt man: Die tut so gern streiten.“ Bei ihr komme dazu, dass sie klein sei und noch jünger aussehe, trotzdem einschüchtere. Sie wolle verändern, sagt Wehsely: „Die Dinge, für die ich eintrete – starker Sozialstaat – sind durch Nichtstun nicht aufrechtzuerhalten.“

„Spielt nicht auf Weiblichkeitsklavier“

Den Hang zum Anpacken zumindest bestätigt eine, die einst Gegnerin war – die Patientenanwältin und frühere grüne Gemeinderätin Sigrid Pilz: „Wehsely war die Erste in der SPÖ, der – beispielsweise bei der Spitalsreform – klar war, dass man Sachen angehen muss.“ Und sie ergänzt noch ein anderes Atout: „Nichts an ihr ist kokett, sie spielt nicht auf dem Weiblichkeitsklavier, das schätze ich.“ Tatsächlich ist weibliche Solidarität etwas, worauf Wehsely zählt (und zählen kann). Sie ist Teil des SPÖ-Frauennetzwerks. Ihre Förderin ist die jetzige Finanzstadträtin Renate Brauner, der sie erst als Frauen-, dann als Gesundheits- und Sozialstadträtin folgte.

Zu dem Netzwerk zählt auch Wehselys Schwester Tanja. Während Sonja Wehselys Lebensgefährte, Andreas Schieder, im Bund SPÖ-Klubchef ist, erfüllt Tanja die Funktion als Vize im Gemeinderat. Die Schwestern ähneln einander – beide sind links, direkt, polarisieren. Unterschiede gibt es dennoch: Tanja, die Wildere, hat als Jugend- und Sozialarbeiterin lang außerhalb der Politik gearbeitet, ist im Kreativmilieu daheim. Bei der SJ war sie nie. Die fand sie kindisch. Dass ihre Schwester eine „Parteisoldatin“ sei, stimme, sagt sie: „Aber eine im besten Sinn.“

Die Karrieren der Schwestern (auch jene von Schieder) sind kommunizierende Gefäße. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Tanja ohne Sonja längst Stadträtin wäre: „Wir behindern uns quasi gegenseitig“, sagt Tanja pragmatisch, „ohne mich wäre sie vielleicht Vizebürgermeisterin.“ Wobei sie für mehr im Gespräch ist: als Bürgermeisterin. Auf die Frage, ob sie das werden will, sagt Sonja Wehsely wie alle: nichts. Aber ist auch bloß theoretisch eine, die so polarisiert, an der Spitze der Stadt vorstellbar? „Es gibt verschiedene Rollen“, meint sie, „jetzt ist meine Rolle, Konflikte auszutragen. Ich werde in meinen Positionen, egal, ob in der Politik oder in der Privatwirtschaft, immer klar sein, aber natürlich kann man Konflikte auch delegieren.“

Den Vergleich mit Maria Vassilakou findet sie übrigens „nicht charmant“ – „nichts gegen die Maria, aber bei meinen Reformen geht es um etwas anderes als die Mariahilfer Straße.“ Das nennt man dann wohl: direkt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.09.2016)

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