Wien: Favoriten – ein Problembezirk?

WIEN: TOTE FRAU IN WOHNUNG GEFUNDEN
WIEN: TOTE FRAU IN WOHNUNG GEFUNDEN(c) APA/GEORG HOCHMUTH
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Mord, Vergewaltigung, tätliche Angriffe: Der zehnte Bezirk hatte zuletzt eine blutige Bilanz. Macht ihn das zum Kriminalitätsbrennpunkt? Die Daten sprechen dagegen.

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Wien. Die Rubrik „Gewaltverbrechen“ digitaler, gedruckter und ausgestrahlter Medien war vergangene Woche gut gefüllt. Und immer wieder tauchte als Tatort der zehnte Wiener Gemeindebezirk auf. Zwischen Dienstag und Sonntag wurde eine 53-jährige Frau erstochen (Tatort 1, siehe Grafik), lieferten sich Türken und Tschetschenen eine Massenschlägerei (2),machte ein 21-Jähriger mit seinem Auto unter „Allahu Akbar“-Rufen Jagd auf Fußgänger (3), wurde eine 39-Jährige abends am Laaer Berg vergewaltigt (4) und überfuhr ein zuvor zurückgewiesener Mann eine junge Frau vor einer Disco (5). Alles Zufall?

Nach einem schnellen Blick in den Kriminalitätsbericht des Bundeskriminalamts würden die meisten die Frage wohl mit Nein beantworten. 19.037 dokumentierte Straftaten (das heißt: Anzeigen) waren 2015 einsame Spitze unter Wiens 23 Bezirken (Gesamtzahl: 195.098). Doch ganz so einfach ist es nicht.

Viele Einwohner, viele Taten

Favoriten ist mit zuletzt 194.820 Einwohnern nach Wien (1,8 Mio.), Graz (280.200) und Linz (200.841) nämlich die viertgrößte Stadt Österreichs. Das macht sich natürlich auch auf dem Sektor der Kriminalität bemerkbar. Für alle Vergleiche und Indikatoren gilt also: Man muss sie stets auch in Bezug zu Bevölkerungsgröße und örtlichen Besonderheiten setzen. Ein Beispiel.

Sucht man aus den Archiven der Polizei (Berichtsjahr 2015) die Summe der schweren Straftaten, die mit mindestens drei Jahren Haft bedroht sind (Verbrechen), liegt auch hier Favoriten mit 4935 dokumentierten Fällen einsam an der Spitze. Unter Berücksichtigung der Wohnbevölkerung tut sich jedoch so manche Überraschung auf. In der Kriminalanalyse verwenden Experten die sogenannte Belastungszahl. Sie gibt an, wie viele Verbrechen pro 100.000 Einwohner verübt wurden. Und siehe da: Mit einem Wert von 3979 liegt hier plötzlich das vermeintlich sichere und angstfreie Neubau weit vor dem als gefährlich wahrgenommenen Favoriten (2630). Bundesweit ganz vorn liegt übrigens der erste Wiener Gemeindebezirk mit (rechnerischen) 14.316 Verbrechen pro 100.000 Einwohnern. Nur spricht kaum jemand darüber, vielleicht auch deshalb, weil in der Inneren Stadt klassische Angsträume wie weitläufige Parks oder große Wohnanlagen fehlen.

Die große Bevölkerung und soziodemografische Maßzahlen bringen es mit sich, dass in Favoriten viel passiert und die Öffentlichkeit genau hinschaut. 37 Prozent der Menschen sind im Ausland geboren, 43 Prozent haben Migrationshintergrund. Das durchschnittliche Jahresnettoeinkommen ist mit 18.340 Euro im Vergleich zu den anderen Bezirken Wiens niedrig. Noch „schlechter“ sieht es nur in Rudolfsheim-Fünfhaus (16.799) und in der Brigittenau (17.861) aus.

In der Wiener Landespolizeidirektion hält man sich wegen der sehr unterschiedlichen örtlichen Spezifika mit bezirksweisen Beurteilungen zur Kriminalität sehr zurück. In einer Stellungnahme verweist man darauf, dass allein die Lage von Fußballstadien das Lagebild deutlich verzerren könne. So würden Happel-, West- und Horr-Stadion erheblich auf die Statistiken der Bezirke Leopoldstadt, Penzing und Favoriten abfärben. Ganz ähnlich verhielte es sich mit dem Donauinselfest, das die Bilanz von Floridsdorf und der Donaustadt verschlechtere. Das Gleiche gelte auch für Einkaufsstraßen, was die Innere Stadt, Neubau und auch Mariahilf zu spüren bekämen.

Geständnis und Festnahme

Zwei der erwähnten Verbrechen stehen nach Angaben der Polizei vom Montag vor der Aufklärung. Der Lebensgefährte der erstochenen Frau hat die Tat gestanden. Motiv: Eifersucht. Festgenommen wurde weiters ein 30-jähriger Mann. Er soll Sonntagmorgen eine 22-Jährige mit seinem Auto niedergefahren haben. Die Frau liegt schwer verletzt im Spital. Über jenen Mann, der am Donnerstag „Allahu Akbar“ rufend mit seinem Auto auf Passanten zufuhr, verhängte das Gericht Untersuchungshaft.

Anmerkung der Redaktion:

Auf mehrfachen Leserwunsch ist "Die Presse" nach der Erstversion dieses auch in der Printausgabe vom 4. Oktober veröffentlichten Artikels für die Online-Variante zusätzlich dem Sonderfeld der Verbrechen gegen Leib und Leben nachgegangen. Weil in den Postings und Zuschriften insbesondere Wiens Innere Stadt genannt wurde, erfolgte erneut auch der direkte Vergleich:

In absoluten Zahlen, das überrascht wegen des großen Unterschieds bei der Wohnbevölkerung nicht, geschehen in Favoriten mehr Gewaltverbrechen (Ausnahme: 2010). Setzt man diese Daten in Relation zur Einwohnerzahl, verkehrt sich das Bild. Die sogenannte Belastungszahl, also die Zahl der Gewaltverbrechen pro 100.000 Einwohner, ist in der City erheblich höher als im zehnten Bezirk (siehe Tabelle unten). Allerdings: Während die Tendenz während der vergangenen Jahre in der Innenstadt nach unten zeigte, stieg sie umgekehrt in Favoriten zuletzt an.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.10.2016)

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