Nationalratswahl stoppt Mindestsicherung in Wien

Verhandlerinnen Hebein und Frauenberger (v.li.).
Verhandlerinnen Hebein und Frauenberger (v.li.).(c) APA/HANS KLAUS TECHT
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Rot-Grün schickt die Reform der Mindestsicherung (freiwillig) in eine Begutachtungsphase. Damit fällt der heikle Beschluss nicht mehr mitten in den Wahlkampf. Am Ende könnte es aber noch Änderungen geben.

Wien. Der Gesetzesentwurf zur Reform der Wiener Mindestsicherung wird völlig unerwartet in Begutachtung geschickt, also nochmals geprüft. Und zwar freiwillig. „Es war uns enorm wichtig, dass alle aus der Praxis mitreden können, damit wir auch nichts übersehen“, erklärte die grüne Sozialsprecherin Birgit Hebein am Dienstag. Deshalb habe man sich für eine dreiwöchige Begutachtung entschieden.

Warum das bemerkenswert ist? Der Weg, um die rot-grüne Einigung bei der Mindestsicherung in Gesetzesform zu gießen, sieht keine verpflichtende Begutachtung vor. Mit der freiwilligen Begutachtungsphase wird das heikle Thema jedenfalls aus dem Wahlkampf genommen – was Rot-Grün nicht ungelegen kommen dürfte, läuft die öffentliche Diskussion doch nicht gerade in die Richtung des rot-grünen Beschlusses. Denn im Gegensatz zu anderen Bundesländern wird die Mindestsicherung in Wien nicht gekürzt oder gedeckelt. Auch die 70 Euro extra für jedes Kind beim Bezug der Mindestsicherung bleiben. Es werden nur strengere Bestimmungen für jüngere Mindestsicherungsbezieher eingeführt, z. B. wird die Bereitschaft, eine Beschäftigung oder ein Kursangebot anzunehmen, ein zentrales Kriterium. Wird das abgelehnt, drohen (finanzielle) Konsequenzen. Auch wenn Eltern bereits Sozialhilfe beziehen, gibt es unter bestimmten Umständen weniger Mindestsicherung für Antragssteller. Gleichzeitig werden Kurs- und Ausbildungsangebote für jugendliche Mindestsicherungsbezieher erarbeitet und es wird die Betreuung durch Sozialarbeiter verstärkt. Das Paket wurde nach neunmonatigen rot-grünen Verhandlung erreicht, die durch einen vernichtenden Rechnungshofbericht zur Wiener Mindestsicherung überschattet waren.

Hebein begründet die ungewöhnliche Vorgangsweise mit der freiwilligen Begutachtungsfrist so: Die Mindestsicherung habe im vergangenen Jahr immerhin fast 300.000 Menschen betroffen. Und bereits jetzt gebe es viele Rückmeldungen von Experten aus der Praxis, aber auch mehrere Anregungen für Abänderungen. Als Beispiel nannte sie die Frage, welche konkrete Leistungen Menschen mit befristeter Arbeitsunfähigkeit erhalten sollen. Derartige Fragen müssten geklärt werden.

Nach der Begutachtungsfrist soll der Entwurf gegebenenfalls adaptiert und im November im Landtag beschlossen werden. Damit könne das Gesetz laut Hebein wie geplant am 1. Jänner 2018 in Kraft treten. Zu dem Gesetzesentwurf erklärte sie: „Die meisten Rückmeldungen sind sehr positiv. Es ist eine Welle der Erleichterung, dass wir einen anderen Weg gehen und nicht bei den Ärmsten kürzen.“

„Es gibt kaum Schäbigeres . . .“

Das „Hintreten auf Schwächere“ sei auch im Wahlkampf ein Thema, kritisierte die Grüne. Die von ÖVP-Chef Sebastian Kurz vorgeschlagene Deckelung der Mindestsicherung auf maximal 1500 Euro würde in Wien etwa mehr als 10.000 Kinder treffen. „Es gibt für mich kaum etwas Schäbigeres als auf Kosten von Kindern Politik zu machen“, so Hebein.

Eine eigene Wiener Regelung bei der Mindestsicherung wurde notwendig, nachdem eine österreichweit einheitliche Mindestsicherung gescheitert war. In der Folge hatten mehrere Bundesländer die Mindestsicherung gekürzt oder gedeckelt, was zur Folge hatte, dass viele Flüchtlinge nach Wien gezogen waren. Die Folge: Die Kosten für die Mindestsicherung in Wien sind explodiert. Eine österreichweite Regelung ist derzeit außer Reichweite, nach der Nationalratswahl könnte sich das aber ändern. Immerhin hatten sich eine Reihe von Bundesländern für neue Verhandlungen nach dem 15. Oktober ausgesprochen. (red.)

Auf einen Blick

Die Reform der Mindestsicherung in Wien wird erst nach der Nationalratswahl wieder zum Thema. Die rot-grüne Einigung, die keine Kürzungen wie in anderen Bundesländern vorsieht, hätte im September im Wiener Landtag beschlossen werden sollen. Stattdessen wurde dieser Termin (von der rot-grünen Stadtregierung) jetzt abgesagt und freiwillig eine dreiwöchige Begutachtungsfrist beschlossen. Begründet wurde das mit zahlreichen Rückmeldungen von Experten, die Änderungen vorgeschlagen hätten. Trotzdem soll die Reform (wie geplant) am 1. Jänner 2018 in Kraft treten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.09.2017)

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