Angeblich zeigte Wien die 50-Millionen-Euro-Affäre selbstständig an. Tatsächlich geschah das erst, nachdem die Fahnder beim Betreiber waren. Offenbar spielte der Termin der Wien-Wahl eine Rolle.
[Wien] „Derzeit finden Ermittlungen durch die Zentrale Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Korruption (KStA) statt, welche aufgrund einer Sachverhaltsdarstellung des Krankenanstaltenverbundes (KAV) (...) initiiert wurden.“ Diesen Satz schrieb Wiens Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely am 28. März 2011. Adressat war die Opposition im Gemeinderat, die wissen wollte, was das Rathaus zur Aufklärung eines vermuteten Korruptionsskandals im AKH beigetragen habe. Bis heute besteht der Verdacht, dass eine Vergabe von Personaldienstleistungen „geschoben“ wurde. Auftragswert: 50 Millionen Euro.
Nun stellt sich heraus: Wehselys Darstellung ist zumindest anzuzweifeln. Das geht aus dem mehrere tausend Seiten starken Ermittlungsakt der KStA hervor. Er liegt der „Presse“ vor. Tatsächlich meldete die Stadt den Fall den Strafverfolgungsbehörden nämlich erst, als diese in der Causa bereits beim Krankenhausbetreiber nachfragten. Bis zu diesem Zeitpunkt ermittelte der KAV nur intern.
Tatsächlich waren KStA und das Bundesamt zur Korruptionsbekämpfung (BAK) schon lange vor der Eingabe des KAV (8. Juli 2010) tätig geworden. Am 12. April übermittelte ein anonymer Absender dem Innenministerium ein 16 Seiten starkes Dossier über die mutmaßliche Bevorzugung einer bestimmten Firma im Rahmen einer Ausschreibung für Leiharbeitskräfte (hauptsächlich Reinigungspersonal). Das Konvolut enthielt für BAK-Beamten jedenfalls ausreichend Substrat, um die Ermittlungen aufzunehmen. So verfügte der Anzeiger über detaillierte Kenntnisse des Ausschreibungsverfahrens und aller Beteiligten. Er nannte sogar konkrete Summen, wusste, dass der unterlegene Mitbieter (Janus Gruppe) um jährlich drei Millionen Euro billiger als der siegreiche AGO angeboten hatte. Am 1. Juli waren die Vorerhebungen weit genug gediehen, dass die Staatsanwaltschaft den BAK-Ermittlern die „Beischaffung der abgegebenen Angebote sowie der Vergabeentscheidung sowie Abforderung einer schriftlichen Stellungnahme seitens der Stadt Wien/AKH“ auftrug. Was auch umgehend geschah.
Stillhalten „bis zur Wien-Wahl“
Es kann ein Zufall sein, dass die Ermittler dem KAV zuvor kamen und ebendort um Stellungnahme und Informationen baten, ehe der Spitalsträger selbst den Staatsanwalt informierte. Genauso denkbar ist jedoch, dass der KAV den Fall nur anzeigte, weil er ab diesem Zeitpunkt keine interne Angelegenheit mehr war.
Wilhelm Marhold, Generaldirektor des KAV, bezeichnet diesen Denkansatz mehr als ein Jahr später als „Quatsch“ (siehe Interview). Er selbst habe Interne Revision, zwei Gutachter und einen externen Wirtschaftsprüfer eben deshalb beauftragt, um mit deren Expertise eine „profunde Sachverhaltsdarstellung“ übermitteln zu können. Auch die verdächtigen Beamten seien ohne Druck von außen und aus eigenem Ermessen suspendiert oder versetzt worden.
Tatsächlich recherchierte die Innenrevision des KAV seit Anfang Mai 2010 in der Causa. Basis war ein am Vierten dieses Monats anonym eingegangenes Kuvert an Marhold, das mehrere AKH-Mitarbeiter schwer belastete. Protokolle heimlich aufgezeichneter Telefonate, E-Mails und die Kopie einer illegalen, schriftlich festgehaltenen Nebenabsprache zum Verfahren belasteten vier teils ranghohe Beamte und den Geschäftsführer des angeblichen Bestbieters. Doch die Sache blieb eben nur ein Interna.
Bis zum 7. Juli. An diesem Tag rief der Chefermittler des BAK beim (inzwischen pensionierten) Leiter der Innenrevision an, verlangte Kopien der Ausschreibungsunterlagen. Der KAV-Beamte hielt das Gespräch in einem Aktenvermerk fest. Ebenso ist da zu lesen, dass er die Generaldirektion darüber informierte. Etwas überrascht stellte er fest, dass man ihm ebendort „eröffnete, dass die Anzeige an die Staatsanwaltschaft noch gar nicht erfolgt sei“. Genau das geschah jetzt, nach monatelangen internen Aktivitäten rasend schnell. Am nächsten Tag hatte KStA-Behördenleiter Walter Geyer die hauseigenen Untersuchungen des KAV am Tisch. Absender: Wilhelm Marhold.
Für Ermittler und Öffentlichkeit wird sich wohl nie klären lassen, warum die Anzeige des Spitalsbetreibers ausgerechnet nach Kontaktaufnahme des BAK mit dem KAV erfolgte. Ebenso fehlen bis heute die Beweise für die in anonymen E-Mails und einem Internet-Weblog behaupteten Querverbindungen des Falls in die Politik. Andererseits: Im Zuge der Vergabe hatten zwei der beschuldigten Beamten den letztendlich unterlegenen Mitbieter dazu genötigt, seinen Einspruch beim Vergabekontrollsenat zurückzuziehen. Diese Gespräche wurden – ebenfalls heimlich – aufgezeichnet. Mehrfach weisen die beiden Beamten darin darauf hin, doch bitte „bis zur Wien-Wahl“ (das war im Oktober 2010) Ruhe zu bewahren.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 20. August 2011)