Akten der Ermittler zeichnen detailliert nach, wie der qualitativ unterlegene, gleichzeitig aber teuerste Bewerber für eine Ausschreibung des Wiener AKHs den Zuschlag für einen Millionenauftrag im Spital erhielt.
Seit 2010 ermitteln die Behörden die Umstände einer fragwürdigen Ausschreibung des Wiener AKHs über Personaldienstleistungen im Wert von 50 Millionen Euro. Im Zuge der Erhebungen stießen Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) und Bundesamt zur Korruptionsbekämpfung (BAK) auf einen Fall aus dem Jahr 2004, der ebenfalls ihr Interesse weckte. Wieder geht es um seltsame Vorgänge.
Wieder darin verstrickt: die AKH-Spitzenbeamten B. und H. Und wieder erhielt der Personaldienstleister AGO den Zuschlag. Der Staatsanwalt ermittelt wegen des Verdachts auf Untreue und Amtsmissbrauch.
Aus dem mehrere tausend Seiten starken Akt („Die Presse“ veröffentlicht seit Juli regelmäßig) kann man schließen, dass die Ausschreibungen 2009 und 2004 in direktem Zusammenhang stehen. AGO benötigte den Zuschlag zur Ausschreibung 2004 (270 Arbeitskräfte) als Referenz, um für das Bieterverfahren im Jahr 2009 (1050 Arbeitskräfte) zugelassen zu werden. Was die Ermittler interessiert: Vor sieben Jahren bekam die Firma den Auftrag, obwohl sie bei einer kommissionellen Qualitätsbewertung eigentlich schon ausgeschieden war und am Ende die achtfache Summe des qualitativ höher bewerteten Billigstbieters verlangte. Das funktionierte so:
Bemerkenswerter Punktezuwachs
Weil das Spital Dienstposten sparte, schrieb man 2004 die Überlassung von Hilfsarbeitern (Abteilungshelfer, Küchenhelfer, Reinigungspersonal etc.) aus. Der Auftrag umfasste 270 Personen, die nach Kollektivvertrag bezahlt werden sollten. Diese Position – ca. acht Mio. Euro jährlich – war für alle gleich. Darüber hinaus hatten Bewerber ihren Preis für die Personalführung (Management) und die Gewinnspanne zu nennen. Jener Angebotsteil war frei kalkulier- und verhandelbar.
Bei Hearings stellten sich die Firmen im Frühling 2005 einer Kommission, die in Punktetabellen über die Qualität der Bieter urteilte. Die drei Bestgereihten sollten aufsteigen. AGO lag nach der Qualitätsbewertung mit 402 Punkten auf Rang vier. Das Dokument liegt im Ermittlungsakt. Doch es existiert noch ein zweites, in dem die Firma auf 419 Punkte und auf Rang zwei kommt. Erklärung?
Laut Belastungszeugin S., sie war damals unter H. Sachbearbeiterin, soll zuvor Verwaltungsdirektor B. eine Sitzung der Kommission unterbrochen haben. Sie zitiert ihn mit den Worten: „Ich habe mir das jetzt angeschaut, so geht das nicht. Die Firma AGO muss weiterkommen.“ Danach sollen die Anwesenden Punktelisten verändert haben. B.s Anwalt, sein Sohn, will den Fall gegenüber der „Presse“ nicht kommentieren.
Beim Vergleich der ersten mit der zweiten Bewertung fällt auf, dass der Punktezuwachs u.a. auf die Position „ISO-Zertifizierung“ zurückzuführen ist. Hier erhielt AGO 22 von 40 Punkten. Und das, obwohl man ein solches Zertifikat zum Zeitpunkt der Angebotspräsentation im März 2005 gar nicht besaß. AGO wendet heute ein, dass das Zertifikat zu diesem Zeitpunkt immerhin schon beantragt war. Vorzeigen konnte es das Unternehmen jedoch erst am 22.Juli. Da war man hinter dem Qualitätssieger und Billigstbieter, der Janus Gruppe, längst in die Endrunde aufgestiegen. Rang drei teilten sich ex aequo die Personalriesen Vamed-KMB und Trenkwalder.
Nun wollte das AKH mit den Verbliebenen über die frei kalkulierbare Vertragssumme verhandeln. Qualitätssieger Janus unterbot mit 356.000 Euro alle deutlich. Vamed-KMB verlangte genau eine, Trenkwalder 2,27 Mio. AGO war mit 2,81 Mio. Euro jährlich mit Abstand am teuersten – und erhielt doch den Zuschlag. Warum?
Der Staatsanwalt befragte den Eigentümer des Qualitätssiegers, Dragan Janus, dazu. Er gibt unter Wahrheitspflicht an, dass der AKH-Beamte H. ihn dazu gedrängt habe, sein Angebot zurückzuziehen. Denn: Gegen den Großkonzern VKMB habe der Mittelständler keine Chance. Janus folgte dem Rat.
Damit war der Weg noch nicht frei, die Verbliebenen bei nahezu identer Qualitätsbewertung immer noch billiger als AGO. Deshalb hielten Verwaltungsdirektor B. und Wirtschaftsbeamter H. in der Vergabebegründung fest, warum AGO den Zuschlag erhielt. Ausschlaggebend war demnach, dass die Firma deutlich mehr „Managementleistungen“ als die Konkurrenz bot, und dies gerade in einem Spital zu würdigen sei.
Nur vier statt 17 „Manager“?
Dazu muss man wissen, was ein „Manager“ von Hilfskräften tut: Er nimmt u.a. Wünsche und Beschwerden des Auftraggebers entgegen und bearbeitet sie. Er sorgt dafür, dass alle Mitarbeiter verlässlich vor Ort sind, prüft ihre Papiere (z.B. Gesundheitsatteste) und gibt sie ans Spital weiter. AGO veranschlagte dafür 17 Arbeitskräfte, Trenkwalder neun, VKMB drei. Ein Informant der „Presse“, der nach der Zuschlagserteilung im AKH mit dem AGO-Personal arbeitete, kann sich an eine solche Zahl von „Managern“ nicht erinnern und spricht von „höchstens vier“.
Laut einem (bei diesem Verfahren nicht beteiligten) Anbieter aus der Branche sei auch das noch zu viel. Für 270 Personen erachtet er zwei Manager als „ausreichend“. Zum Vergleich: Alles inklusive kostete ein ähnlicher Auftrag aus derselben Zeit das Wiener Kaiser Franz-Joseph Spital pro Arbeitsstunde 13 Euro. Das AKH gewährte 21.
Der Staatsanwalt sagt, dass die Erhebungen noch Monate dauern werden. Erst dann wird sich entscheiden, ob er über überhaupt Anklage erhebt. Ähnliche Gedanken hegt der unterlegene Mitbieter Trenkwalder. Dort prüft man eine Klage gegen das AKH. AGO empfindet die Veröffentlichung erklärungsbedürftiger Vorgänge als Medienkampagne: „Ich halte dieses Subthema für einen schon sehr verzweifelten Versuch, noch ein wenig Story aus der ganzen Sache zu quetschen“, so der PR-Berater des Unternehmens zur „Presse“.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.09.2011)