Experten: Billigere Jahreskarte bringt nichts

Experten Billigere Jahreskarte bringt
Experten Billigere Jahreskarte bringt(c) Die Presse (Bruckberger)
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In wenigen Tagen soll die Tarifreform der Wiener Linien fixiert sein. Experten üben nun heftige Kritik: Über den Preis gewinne man keine neuen Kunden.

Wien. „Ein Absenken der Preise ist aus wissenschaftlicher Sicht kein guter Schritt“, sagt Sebastian Kummer. Der Vorstand des Instituts für Transportwirtschaft und Logistik an der WU Wien kann sich demnach auch nicht für die Tarifreform bei den Wiener Linien begeistern, die in wenigen Tagen präsentiert werden soll. Offiziell ist der künftige Preis der Jahreskarte noch nicht, kolportiert werden 365 Euro, doch regt sich nun heftiger Widerstand gegen die Verbilligung.

„Selbst Fahrpreise zum Nulltarif tragen nicht viel zu den Fahrgastzahlen bei“, sagt Kummer. „Und sie beeinflussen den Modal Split nicht.“ Soll heißen, dass man mit günstigeren Tarifen eher Fußgänger und Radfahrer für die öffentlichen Verkehrsmittel gewinnt, nicht jedoch Autofahrer. Viel wichtiger sei es da, andere Barrieren aus dem Weg zu schaffen – etwa mit höheren Frequenzen vor allem in Randlagen und mehr Bequemlichkeit und weniger Gedränge zu Spitzenzeiten. „Und wenn schon Preispolitik“, sagt Kummer, „dann sollte man sich über differenzierte, fahrgastspezifische Preise unterhalten.“ So kann er sich etwa Wintertickets für Radfahrer vorstellen, aber auch Aktionen wie Mitarbeitertickets für Unternehmen.

„Wien steht extrem gut da“

Kummer ist einer der Experten, die am Donnerstagabend bei einer Veranstaltung über Tarife im öffentlichen Stadtverkehr debattierten. Veranstalter war die Österreichische Verkehrswissenschaftliche Gesellschaft (ÖVG), eine Organisation, in der vor allem Vertreter von Infrastrukturunternehmen sitzen – unter anderem Wiener-Linien-Geschäftsführer Günter Steinbauer als Vizepräsident.

Als Vortragender vertreten war auch Stefan Weigele, Gründer der deutschen Consultingfirma „Civity“ – und seit drei Jahren Berater der Wiener Linien. „Wien steht extrem gut da, was den Markterfolg der öffentlichen Verkehrsmittel angeht“, sagt Weigele. So habe Wien im Vergleich mit europäischen Metropolen das dichteste Angebot an öffentlichem Personennahverkehr und einen sehr hohen Stammkundenanteil.

Im Vergleich mit anderen Städten (s. Artikel unten) erziele Wien jedoch unterdurchschnittliche Erlöse aus dem öffentlichen Verkehr – einer von ihm durchgeführten Studie zufolge sind es 73 Cent pro Fahrgast, in Deutschland gebe es Werte um die 85 bis 90 Cent. „Das klingt nicht nach viel“, sagt Weigele, „aber bei 800 Millionen Fahrgästen pro Jahr machen ein paar Cent schon viel aus.“ Eine Senkung der Tarife hält auch er für wenig hilfreich. „Damit gewinnt man keinen Fahrgast dazu, das ist ein reines Geschenk an die Bestandskunden.“
Gegen eine Verbilligung der Jahreskarten hat sich auch der Fahrgastbeirat der Wiener Linien ausgesprochen. „Die Zahl der Jahreskartenbenutzer hat in den letzten Jahren laufend zugenommen“, sagt Vorsitzender Hermann Knoflacher. Und nie sei man vonseiten der Kunden mit dem Wunsch konfrontiert worden, die Tickets zu verbilligen.

Rot-Grün will Verbilligung

Die von den Experten angeführten Argumente lässt Rüdiger Maresch, Verkehrssprecher der Wiener Grünen, nicht gelten. „Es geht darum, die Jahreskarte billiger zu machen.“ Und dass der Preis für Autofahrer an der Peripherie der Stadt nicht das entscheidende Argument zur Nutzung von Straßenbahn und Bus sein könnte. „Wir wollen auch die Parkraumbewirtschaftung erhöhen – das ist auch eine Entscheidungshilfe.“ Man werde die Tarifreform sicher durchziehen, sagt Maresch. „Und Politik wird von der Politik gemacht, nicht von Herrn Weigele.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 7. Oktober 2011)

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