Was braucht die Stadt? 33 Ideen für Wien

Vor dem Tun kommt das Nachdenken. Und Träumen.
Vor dem Tun kommt das Nachdenken. Und Träumen.Petra Winkler / Die Presse
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Was wäre, wenn Lehrer ihre Schüler auch einmal zu Hause besuchen? Wenn man sich in der Stadtplanung auf heiße Sommer einstellt und wenn wir bei der Wien-Wahl statt einer Stimme 100 Punkte vergeben?

Was fehlt Wien? Was würde die Stadt ein wenig besser machen? Anlässlich der Wien-Wahl haben neun Sommerwochen lang Experten, „Presse“-Leser, -User und -Redakteure über diese Fragen nachgedacht und Vorschläge zu den wichtigsten Themenbereichen gesammelt: Verkehr, Integration, Wohnen, Soziales, Verwaltung und Demokratie, Stadtentwicklung, Wirtschaft und Finanzen, Sicherheit sowie Bildung, Kultur und Familie. Zum Abschluss hier ein Überblick über die 33 besten und/oder originellsten oder effizientesten Ideen.

Mediziner im Land halten

Jeder zweite Medizinstudent verlässt nach seiner Promotion Österreich in Richtung Deutschland oder die Schweiz. Um den Trend zu stoppen, braucht es beispielsweise eine bessere Ausbildung von Turnusärzten und ein Ende des Missbrauchs junger Ärzte als Systemerhalter im Spital, die zu einem Großteil bürokratische Aufgaben erledigen, die auch vom Pflegepersonal übernommen werden könnten.

Ärzte nach Leistung bezahlen

Die Finanzierung der Spitalsambulanzen ist veraltet, intransparent und nicht wirtschaftlich. Sie zu reformieren wäre im Interesse aller Beteiligten. Dazu gehört hauptsächlich, dass nicht pauschal pro behandeltem Patient abgerechnet wird, sondern eine Ambulanz die tatsächlich erbrachten Leistungen bezahlt bekommt.

Ordination statt Ambulanz

Damit die überfüllten Spitalsambulanzen entlastet werden, muss der niedergelassene Bereich massiv gestärkt werden. Dafür braucht es nicht nur attraktivere Ordinationszeiten, sondern auch mehr Flexibilität für moderne Zusammenarbeitsformen wie Gruppenpraxen ohne Schikanen wie unnötige Deckelungen für Honorare.

Autos in den Untergrund

Okay, es wäre teuer, aber es würde viel Platz schaffen. Daher: Prüfen, wo man den Verkehr in Tunnel verlegen könnte, das schafft mehr Möglichkeiten für die Gestaltung von Oberflächen.

Günstige Garagen ausbauen

Mit einem Ausbau von leistbaren Park-and-Ride-Garagen am Stadtrand kann ein Anreiz gesetzt werden, in der Stadt den öffentlichen Verkehr zu nutzen. Wobei wichtig ist, dass die Garagen bereits im Betriebsgebiet der Wiener Linien liegen, damit nicht extra für eine Außenzone ein eigenes Ticket gekauft werden muss. Innerhalb der Stadt kann durch günstige Garagenplätze die Oberfläche von parkenden Autos entlastet werden.

Zufußgehen fördern

Wie geht das günstig und einfach? Das Öffnen von Durchgängen und kleine bauliche Veränderungen können den Raum für Menschen, die zu Fuß unterwegs sind, ohne großen Aufwand vergrößern.

Gebühr für Single-Fahrer?

Aktuell ist der Besetzungsgrad von Autos niedrig – in einem Fahrzeug sitzen im Schnitt 1,1 bis 1,2 Personen. Gelingt es, mehr Menschen pro Auto zu transportieren, würde die Verkehrsbelastung sinken. Eine Möglichkeit, das zu erreichen, wäre, die Nutzung der Busspur ab einer gewissen Zahl an Insassen zu erlauben. Oder von Autofahrern, die allein unterwegs sind, Gebühren zu verlangen.

Privatquartiere für Flüchtlinge

Bis zu 80.000 Flüchtlinge kommen dieses Jahr nach Österreich – wo sollen sie wohnen? In Wien setzt man auf private Quartiere als Schlüssel. Mit Vermittlungsplattformen im Internet können Privatquartiere akquiriert werden. Zusätzlich müsste eine Vermietung auch für wenige Monate möglich sein, um flexibler arbeiten zu können.

Kompetenz-Check

Mit neuen Menschen kommen auch Kompetenzen für den Arbeitsmarkt in das Land, dennoch sind zwei Drittel der Asylberechtigten beim AMS gemeldet. Man sollte ihre Qualifikationen von Anfang an abklopfen, finden Experten. Hier hat die Realität die Idee der Serie aber schon etwas eingeholt.

Schwimmkurse für Migranten

Gerade unter Migranten gibt es viele Nichtschwimmer – im Sommer ertranken etwa zwei Flüchtlinge in der Donau. Gratis-Schwimmkurse können Abhilfe schaffen.

Frühförderung in Deutsch

G'scheit reden: Wer eine Sprache gut können möchte, kann nicht früh genug damit anfangen. Für bessere Deutschkenntnisse braucht es eine ordentliche Frühförderung.

Studentenheim auf Zeit

Damit brachliegende Grundstücke bis zur Entwicklung nicht ungenutzt bleiben, könnte man sie etwa für temporäre Studentenheime nutzen. Eine mögliche Lösung dafür wären Container, die man jederzeit wieder abbauen kann.

Anti-Hitze-Stadtplanung

Es wird heißer – nicht nur diesen Sommer, sondern langfristig. Stadtplanung und Architektur finden Wege, um die Stadt zu kühlen: Der hohe Grad an Bodenversiegelung in den Straßenräumen führt bei Sonne zu Überhitzung und fehlender nächtlicher Abkühlung, bei Regen hingegen zur Überlastung der Straßenkanäle: Es müssten wieder Oberflächen geschaffen werden, die Wasser aufnehmen können, und mehr Bäume gepflanzt werden. Mehr Pflanzen und mehr Wasser würden erheblich zur Abkühlung der überhitzten Stadt beitragen. Auch eine Verlegung von unterirdischen Bächen zurück an die Oberfläche kann kühlen.

Gemeinsam bauen

Wer sich nicht von einem Bauträger ein Haus bauen lassen will, wird selbst einer. Private Initiativen, die gemeinsam ihr Zuhause bauen, nehmen zu.

Masterplan für Wohnen

Die Stadt wächst, die Mietpreise auch. Experten glauben, es brauche erstens differenzierteren Wohnbau (so brauche ein Student etwa viel weniger Platz als ein Wissenschaftler mit Familie – auch die finanziellen Ressourcen dieser Gruppen unterscheiden sich massiv), zweitens eine starke öffentliche Hand. Und drittens einen Überblick, wo überhaupt noch Platz ist.

Wahlen nach Punkten

Um die Zufriedenheit der Wähler zu steigern und den Willen besser abzubilden, sollte es möglich sein, in der Wahlkabine nicht nur eine einzige Partei zu wählen, sondern eine Reihung vorzunehmen. Derzeit kann ein Wähler seine Stimme nur zu 100 Prozent einer Partei geben – auch, wenn er mit Teilen ihres Programms unzufrieden ist. Ein so genanntes Stimmensplitting (z.B. über Punktevergabe) bringt mehr Differenzierung. Gemacht wird das bereits in der Schweiz und in Kalifornien.

Expertenurteil für Petitionen

Im Petitionsausschuss sollen nicht mehr Magistratsabteilungen, die Bürgeranliegen bereits abgelehnt haben, für Bürgeranliegen zuständig sein, sondern externe, unabhängige Experten. Und: Bürgerinitiativen hätten gern unabhängige juristische Unterstützung– finanziert durch die Stadt. Denn ein spezialisierter Jurist findet sich nur selten im Kreis einer Bürgerinitiative.

Richtig fragen

Für direkte Demokratie, vor allem auf Bezirksebene, müssen verbindliche, einheitliche und nachvollziehbare Standards geschaffen werden.

Mehr Garagen, mehr Freiraum

Der Stadtplanungsexperte Reinhard Seiß sieht den öffentlichen Raum durch parkende Autos verstellt und gefährdet. Diese Autos sollen verstärkt unter die Erde gebracht werden. Das bedeutet mehr Garagen in ganz Wien, damit die Oberfläche für Grünraum, Freizeitaktivitäten und mehr Raum für Fußgänger genutzt werden kann. Denn eine lebenswerte Stadt hänge mit einem qualitätvollen Freiraumangebot und einer intelligenten Lösung der Mobilität zusammen, meint Experte Seiß.

Von London inspirieren lassen

Das Potenzial des rechten Donauufers liegt brach. Warum nicht von London inspirieren lassen? Das Themse-Ufer wurde zum Flanier- und Genuss- und Kulturraum entwickelt. Geplant ist auch eine Gartenbrücke.

Schwimmen im Kanal

Der Donaukanal könnte durch gesicherte Schwimmbereiche zum Badefluss und der Wienfluss zum Naherholungsgebiet mit Schwimmbecken und Schwimmstegen in bereichsweise aufgestauten Zonen werden. Die Gefahr schnell steigender Wasserpegel im Flussbett durch unvorhersehbare lokale Platzregen wäre dann (siehe auch Punkt: Anti-Hitze-Stadtplanung) durch die Entlastung der Straßenkanäle so reduziert, dass die öffentliche Nutzung durch ein Warnsystem in Kombination mit neuen Fluchtwegen möglich wäre.

Transparente Vergabe

Um Korruption bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen zu reduzieren, müssen größere Aufträge nicht mehr von Einzelpersonen oder einem Zweierteam, sondern von einer unabhängigen Kommission vergeben werden.

Campus für Start-ups

Die Stadt soll einen eigenen Campus schaffen, der nur für Start-up-Unternehmen reserviert ist, die dort speziell gefördert werden.

Sparen bei Verwaltung

Um die 4,89 Milliarden Euro Schulden Wiens zu reduzieren, müssten die Vorschläge des Rechnungshofs umgesetzt werden: Beamtenpensionsreform (350Mio. Euro), weniger Frühpensionen (100 Mio. pro Jahr), weniger Eigen-PR und Werbung für die Stadt.

Jugend forscht

Nachdem es immer weniger Jobs für gering Qualifizierte gibt, müssen diese mit mehr Weiterbildung fit für die neuen Jobs in Forschung und Dienstleistungsbereich gemacht werden.

Betreuung statt Jugendhaft

Wie jugendliche Straftäter den richtigen Weg finden: Bei minderschweren Verbrechen können Richter statt einer Gefängnisstrafe betreutes Wohnen anordnen – ein strukturierter Tag und ständige Betreuung sollen zu einer Verhaltensänderung führen. Erste Pilotprojekte laufen.

Kameras gegen Polizeigewalt

Gegen Polizeigewalt: KIeine Körperkameras haben in einer kalifornischen Stadt Beschwerden über Polizisten zu 87 Prozent gesenkt. Der Gewalteinsatz ging um 59 Prozent zurück. Auch bei Verfahren können sie die Beweislage erleichtern.

Selbstkontrolle für die Polizei

Trotz etlicher Schulungen der Polizei gibt es immer wieder aus dem Ruder geratene Amtshandlungen. Ein von Notfallpsychologen empfohlener Check der eigenen Tagesverfassung vor einem Einsatz könnte helfen.

Autoverbot vor Schulen

Um die Sicherheit der Kinder zu erhöhen, wurde in Bozen eine autofreie Zone vor einigen Schulen eingerichtet: vor Unterrichtsbeginn und nach Unterrichtsende dürfen in der Straße der Schule keine Autos fahren. An kritischen Stellen könnte das auch in Wien angedacht werden.

Flexiblere Kinderbetreuung

Die Vereinbarkeit funktioniert meist dann, wenn Eltern die Sache selbst in die Hand nehmen. Entweder mit Coworking-Arbeitsplätzen inklusive Kinderbetreuung, Kindergärten, die 24 Stunden, also auch nachts, geöffnet haben, oder aber mit einer Aufteilung der Kinderbetreuung in Kleingruppen. Die Stadt könnte all diese Initiativen unterstützen, am einfachsten mit der Infrastruktur, sprich Räumlichkeiten.

Kultur auch für die Kinder

In Wien dominiert die Hochkultur, auch was die Aufteilung des Kulturbudgets (250 Mio. Euro) betrifft. Die Gewichtung zwischen Alt und Neu könnte durchaus überdacht werden. Und: Bezirke wie Donaustadt, Floridsdorf und Liesing könnten bei der Verteilung durchaus mehr berücksichtigt werden.

Wien zur Filmstadt machen

Ein eigener Fonds der Stadt Wien könnte dabei helfen, dass auch internationale Filmcrews Wien als Drehort entdecken. Marijana Stoisits, Geschäftsführerin der Vienna Film Commission, fordert, dass die Stadt diesem Fonds eine Million Euro zur Verfügung stellt: „Das Geld würde mehrfach zurückfließen.“

Eltern in Schule einbinden

Die Rütli-Schule in Berlin hat es geschafft, sich von der Problemschule zur Vorzeigeschule zu wandeln. Etwa dadurch, dass Eltern aktiv in die Schule eingebunden werden und Lehrer ihre Schüler auch zu Hause besuchen. Direktorin Cordula Heckmann sieht darin durchaus auch Ideen für Wien.

Forum: Ideen für Wien

Die Reihe „Ideen für Wien“ ist am 5. Juli gestartet
und endet mit diesem Artikel. Die Beiträge
und Vorschläge der User stehen online zur Nachlese zur Verfügung.

>> Zum Forum: diepresse.com/33ideen

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.09.2015)

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