Russland: Putins Schicksal hängt vom Ölpreis ab

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Bisher hat der Kreml-Chef die Proteste unbeschadet überstanden. Doch im Herbst könnte es kritisch für Putin werden. Denn die stille Mehrheit wendet sich langsam von ihm ab.


Moskau. Omsk, 2250 Kilometer östlich von Moskau, ist zwar gewöhnlich nicht in aller Munde. Als siebtgrößte Stadt des Landes mit ihrer Lage an der Transsibirischen Eisenbahn aber gilt sie als wichtiges Wirtschaftszentrum. Wirklich von sich reden freilich machte sie am 17. Juni. Bei der Bürgermeisterwahl nämlich hat sie mit 17,3 Prozent Wahlbeteiligung einen Antirekord aufgestellt. Am Ende wurde der Kandidat der Kreml-hörigen Einheitspartei mit knapp der Hälfte der Stimmen, also 8,4 Prozent der Wahlberechtigten, durchgedrückt. Ähnlich wie in der Millionenstadt Krasnojarsk, weiter östlich und näher am Baikalsee: Dort gingen wenigstens 21,2 Prozent zur Wahl.
Mit Apathie ist das nicht mehr zu erklären. Das Gegenteil ist der Fall. In denselben Gegenden nämlich hat bei den Parlamentswahlen Ende 2011 noch mehr als die Hälfte abgestimmt und den damaligen Oppositionskandidaten ein starkes Ergebnis oder wie in der Stadt Jaroslawl sogar den Sieg beschert. Nun, da die Auswahl wieder eingeschränkt war, wurde sie mit Ignoranz quittiert.

Widersprüche im Establishment

So ticken die Russen nach einem halben Jahr unerwartet starker Proteste und nach der Wiederwahl von Präsident Wladimir Putin. „Die Gesellschaft hat immer mehr Zweifel, ob die Machthaber richtig handeln“, beschreibt das Moskauer Institut für Politische Technologien (IPT) den Schwebezustand. „Aber sie entschließt sich nicht zum Bruch mit ihnen, weil sie Katastrophenszenarien fürchtet, von denen es in der russischen Geschichte nicht wenige gab.“

Ein Fünftel der Bevölkerung ist zu den eingefleischten Putin-Anhängern zu zählen, ein weiteres Fünftel der Opposition zuzurechnen. Im Rest, der stillen Masse, erodiert die Loyalität zur Führung. Dass sechs bis sieben Prozent der Russen zum Straßenprotest bereit seien, sei für den Kreml nicht weiter besorgniserregend, meint Igor Sadorin vom „Zentrum für Strategische Konzepte“. Problematisch für die Führung sei jedoch, dass die Mehrheit des Volkes den Demonstranten gegenüber nicht mehr feindlich gesinnt sei.

Nach einem Jahrzehnt schweigender Zustimmung zu einem angeblich alternativlosen Putin sind die Verschiebungen im Bewusstsein elementar. Davon zeugt auch die Reaktion des Establishments, die widersprüchlich ist.
Auf den ersten Blick hat dort die Hardlinerfraktion die Oberhand gewonnen. Der Kreml hat die anfänglich offerierte Lockerung der Wahlgesetze auf ein Minimum zurückgefahren und die Demonstrationsgesetze verschärft. Damit freilich wurde der Protestaufmarsch am 12. Juni weiter angeheizt. Als Kontrapunkt dazu feuert der Kreml Dialogsignalraketen ab: So wurden ein neues Ministerium für „Transparenz“ und die Institution eines Ombudsmannes für Investoren geschaffen.

Unabwendbare Budgetkürzungen?

Ins Auge springt der alarmierende Unterton. Dies ist nicht unverständlich, denn laut Umfrageinstitut Lewada hat Putin heute um ein Drittel weniger bedingungslose Anhänger (15 Prozent) als noch 2010. Aber er hat auch noch genug Spielraum. Denn die Opposition verfügt nur über ein beschränktes Protestrepertoire, muss sich reorganisieren und ernstzunehmende Inhalte ausarbeiten. Und solange ein anderes Angebot fehlt, fungiert Putin für etwa die Hälfte der Bevölkerung abermals als „Präsident der Hoffnung“, wie Lewada-Vizechef Alexej Graschdankin erklärt.

Für die meisten freilich ist es die Hoffnung auf Veränderung. Brisant sind mögliche Sozialproteste im Herbst, sollte es zu Budgetkürzungen kommen. Vor seiner größten Herausforderung aber stünde Putin, wenn 2013 der Wirtschaftsabschwung von drei bis vier Prozent eintritt, von dem Ex-Finanzminister Alexej Kudrin spricht. Gewiss, Russland hat wegen der geringen Staatsverschuldung großen Spielraum. Aber Putins Los wird doch weitgehend in der Eurozone entschieden: Sackt der Ölpreis, der aufgrund geringerer Nachfrage seit März um fast 30 Prozent auf etwa 92 Dollar je Fass gesunken ist, 2013 unter 80 Dollar ab, steht Russland laut Investmentbank Merrill Lynch nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine politische Krise bevor.

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