Wehrpflicht für Ultraorthodoxe spaltet Israel

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Noch sind strenggläubige Juden vom Dienst an der Waffe befreit. Das soll sich nun ändern. Doch mit den bisherigen Reformvorschlägen ist niemand zufrieden und sie bringen die Koalition ins Schwanken.

Jerusalem. „Lieber ein Leben im Gefängnis verbringen, als in der zionistischen Armee dienen“, steht auf dem Schild demonstrierender Ultraorthodoxer. Ab 1. August droht den frommen Männern der Dienst an der Waffe. Dann endet die sogenannte „Tal-Regelung“, die Ultraorthodoxen bisher die Wahl zwischen Talmudschule und Armee ließ. Der Streit über alternative Modelle bringt die Koalition ins Schwanken.

Die von der Regierung beauftragte sogenannte Plesner-Kommission zur Erarbeitung einer Ersatzlösung war auf nur einen Mann zusammengeschrumpft. Eine Partei nach der anderen verließ zürnend die Arbeitsgruppe, bis Anfang der Woche Premierminister Benjamin Netanjahu die Kommission komplett auflöste. Trotzdem stellte der Abgeordnete Jochanan Plesner (Kadima) am Mittwoch seine Ergebnisse vor. Die Kadima, die sich vor nicht einmal zwei Monaten und unter der Prämisse, den Wehrdienst für alle einzuführen, der Regierung anschloss, droht mit dem Abschied von Netanjahu, sollten Plesners Vorschläge nicht zur Umsetzung kommen.

„Was ist mit den Arabern?“

Kernpunkte der Auseinandersetzung sind die Maßnahmen gegen Verweigerer und die Möglichkeit, den Dienstantritt hinauszuschieben. Die religiösen Parteien lehnten individuelle Strafen ab. Im Gespräch war eine Sanktionierung der Talmud-Hochschulen. Außerdem forderten die frommen Politiker die Möglichkeit, die Rekrutierung bis zum Alter von 28 Jahren zu verschieben, Plesner sieht nur eine Rückstellung bis zum Alter von 22 Jahren vor. „Wer sich dann noch weigert, eingezogen zu werden, kommt ins Gefängnis“, resümierte er vor Journalisten. Außerdem drohe demjenigen ein Bußgeld von umgerechnet rund 20.000 Euro. Immer wieder unterbrach der ultrarechte Abgeordnete Michael Ben-Ami (Nationale Einheit) die Pressekonferenz mit Zwischenrufen. „Was ist mit den Arabern?“, fragte er und schimpfte die Plesner-Kommission „rassistisch“.

Einen Ersatzdienst für die arabischen Staatsbürger fordert die Partei von Außenminister Avigdor Lieberman seit Jahren. Plesner spricht von dem Prinzip „Dienst für alle“. Wie genau die 30.000 jungen arabischen Männer ihren staatsbürgerlichen Beitrag leisten sollen, bleibt unausgegoren. Im Moment tragen rund 2000 Drusen, Beduinen und arabische Christen freiwillig die israelische Uniform.

Plesners Vorschläge machen nur wenige glücklich. Die Ultraorthodoxen zürnen, Lieberman schüttelt den Kopf und auch das „Lager der Trottel“, wie sich jene nennen, die gar nicht erst versuchen, sich ihrer dreijährigen Regeldienstzeit und dem anschließenden Reservedienst zu entziehen, ist unzufrieden. Die „Trottel“ sind fester Bestandteil der Sozialbewegung. Seit ein paar Wochen tun sie ihren Unmut in einem Protestzelt kund.

„Der Plesner-Bericht ist alles andere als perfekt“, kommentierte Idan Miller vom „Lager der Trottel“. Ihm stößt vor allem die Möglichkeit, den Regeldienstbeginn bis zum Alter von 22 Jahren zu verzögern, übel auf. Nichtsdestoweniger würde eine Reform, die sich auf die Plesner-Vorschläge stützt, die Gleichberechtigung bei den staatsbürgerlichen Pflichten „deutlich vorantreiben“. Miller ist pessimistisch, dass das passieren wird, denn Netanjahu habe längst vor den Ultraorthodoxen kapituliert. „Die Plesner-Vorschläge waren schon vor ihrer Veröffentlichung eine politische Leiche.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.07.2012)

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