Syrien: Assads Truppen rücken auf Aleppo vor

(c) REUTERS (UMIT BEKTAS)
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Wegen der heftigen Gefechte in seinem Nachbarland schließt die Türkei die Grenzübergänge zu Syrien. Assads einstiger Vertrauter Tlass wirft dem Regime Verbrechen vor.

Kairo/Damaskus. Die Gegenoffensive des Assad-Regimes rollt. Nachdem die Rebellen in den vergangenen Tagen aus den meisten Stadtteilen von Damaskus vertrieben worden waren, verlegte Syriens Militärführung in der Nacht auf Mittwoch große Truppenverbände in die Stadt Aleppo. Dort haben Kämpfer der „Freien Syrischen Armee“ mehrere Außenbezirke unter ihre Kontrolle gebracht. Ein BBC-Reporter filmte zwei MiG-Kampfflugzeuge, die über der Stadt flogen, ohne jedoch Bomben abzuwerfen.

Den ganzen Tag wurde in den Straßen der Wirtschaftsmetropole heftig gekämpft. Hubschrauber griffen mit Bordkanonen und Raketen an. Die Bewohner in den wohlhabenden Vierteln der Innenstadt verbarrikadierten sich in ihren Wohnungen. Alle Staatsbediensteten wurden über Fernsehen aufgefordert, nicht aus dem Haus zu gehen. Der Flughafen war überfüllt mit Menschen, die sich nach Beirut, Dubai oder Amman in Sicherheit bringen wollten.

Laut der Oppositionsgruppe Avaaz gab es im Zentralgefängnis von Aleppo einen Aufstand politischer Gefangener, der nach 24 Stunden von Sicherheitskräften blutig niedergeschlagen wurde. Mindestens zehn Menschen starben, über 40 wurden verletzt. Die Gefangenen hatten drei Wächter in ihre Gewalt gebracht und die „Freie Syrische Armee“ zu Hilfe gerufen. Deren Kämpfern gelang es aber nicht, in das Innere der Haftanstalt vorzudringen und die 6000 Insassen zu befreien. Eine ähnliche Revolte hatte es am Wochenende zuvor bereits in Homs gegeben. Dort hatten die etwa 5500 politischen Gefangenen vorübergehend einen großen Zellentrakt in ihre Gewalt gebracht. Nach Augenzeugenberichten flüchteten sie sich teilweise auf das Dach der Haftanstalt, nachdem Soldaten im Inneren Tränengasgranaten gezündet und scharf geschossen hatten.

„Das Regime ist korrupt“

Der in die Türkei desertierte General Abdelrazak Aslan gab gegenüber dem Sender al-Jazeera an, über 200.000 Menschen seien seit Beginn des Aufstandes verhaftet worden. Insgesamt sind bereits 27 hohe Offiziere zu den Assad-Gegnern übergelaufen. Für Aufsehen sorgte der desertierte Brigadegeneral und frühere Freund von Präsident Bashar al-Assad, Manaf Tlass: Im TV-Sender Al Arabiya warf er den Regierungstruppen Verbrechen vor. „Das Regime ist korrupt“, sagte er. Es waren die ersten öffentlichen Äußerungen des ehemals hochrangigen Offiziers der Republikanischen Garden. Tlass war als einer der wenigen sunnitischen Muslime Teil des innersten Machtzirkels um Assad, der größtenteils aus Alawiten besteht. Auch die syrische Geschäftsträgerin auf Zypern, Lamia al-Hariri, sowie ihr Mann, Abdel Latif Dabbagh, Botschafter in den Vereinigten Arabischen Emiraten, legten ihr Amt nieder und setzten sich nach Katar ab.

UNO zieht Hälfte der Beobachter ab

Die UNO brachte derweil die Hälfte ihrer 300 unbewaffneten Beobachter außer Landes. Die Mission der übrigen 150 Blauhelme war vergangene Woche vom UN-Sicherheitsrat „ein letztes Mal“ für 30 Tage verlängert worden. Derweil schloss die Türkei „aus Sicherheitsgründen“ ihre Grenzübergänge nach Syrien, die wenige Tage zuvor von den Rebellen erobert worden waren.

In Damaskus konzentrierten sich die Kämpfe am Mittwoch laut Menschenrechtsgruppen auf die Stadtteile Hajar al-Aswad und al-Tel, die letzten Bastionen der Rebellen in der Hauptstadt.

Neue Artillerieangriffe auf Homs

Auch die bereits zu 80Prozent zerstörte Stadt Homs wurde mit Granaten beschossen. In dem Dorf al-Shareea bei Hama sollen Assad-Milizen 16 Menschen massakriert haben, die nach dem Ramadan-Abendgebet aus der örtlichen Moschee kamen. Damit sind in Syrien seit dem Attentat auf die Regimespitze vor zehn Tagen insgesamt 1260 Menschen getötet worden, seit Beginn des Aufstands gegen Bashar al-Assad im März 2011 starben über 19.000.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.07.2012)

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