Syrien: Säulen von Assads Macht bröckeln

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Assads Premier Riad Farid Hijab desertierte nach Jordanien. Er gehörte nicht zu dessen engsten Vertrauten, die Symbolik aber ist verheerend. Der Fall Hijab zeigt, wie brüchig das syrische Regime geworden ist.

Es ist eine schwere PR-Niederlage für Syriens Führung: Nach nicht einmal zwei Monaten im Amt hat sich Premier Riad Farid Hijab vom Regime losgesagt. Syriens Staatsfernsehen meldete am Montag lakonisch, der Regierungschef sei abgesetzt worden. Doch Hijabs Sprecher Mohammed el-Etri stellte im arabische Nachrichtensender al-Jazeera klar, dass sein Chef geflohen sei. Der Premier sei samt Familie nach Jordanien entkommen und arbeite jetzt für die Opposition. Er werde weiter in die Golfmonarchie Katar reisen, die zu den vehementesten Unterstützerinnen des syrischen Widerstands gehört.

„Ich verkünde heute meine Abkehr von dem tötenden Terrorregime“, ließ Hijab durch seinen Sprecher Etri ausrichten. „Ich verkünde, dass ich von heute an ein Soldat dieser gesegneten Revolution bin.“ Hijab stellte zudem klar, dass nun – angesichts seiner Flucht – andere Funktionäre keine Ausrede mehr dafür hätten, weiterhin dem Regime zu dienen.

Gerüchten zufolge sollen sich gemeinsam mit dem Regierungschef auch zwei Minister sowie ein General und eine Reihe weiterer Offiziere abgesetzt haben. Finanzminister Mohammed Jalilati soll bei dem Fluchtversuch von Regimekräften verhaftet worden sein. Im syrischen Staatsfernsehen wurde das zurückgewiesen. Es sendete ein Interview, in dem Jalilati alle Berichte über seine Festnahme dementierte.

Flucht des Jugendfreundes

Der Fall Hijab zeigt, wie brüchig das syrische Regime geworden ist. Der Regierungschef ist der bisher höchstrangige zivile Funktionär, der sich von Machthaber Bashar al-Assad losgesagt hat. Die Symbolik dieses Aktes ist für die Führung in Damaskus verheerend.
Hijab gehörte aber nicht zum innersten Machtzirkel um Assad. Vor allem persönlich schmerzhaft für den Präsidenten war wohl die Flucht seines Jugendfreundes Brigadegeneral Manaf Tlass. Die Leute aus dem engsten Kreis haben Assad bisher aber weitgehend die Treue gehalten.

Mysteriöses Attentat

Größten Schaden nahm die Führungsspitze durch ein Attentat Mitte Juli, bei dem unter anderem Assads Schwager Asef Shawkat ums Leben kam. Bis heute sind die Hintergründe des Anschlags aber nicht völlig klar. Syrische Untergrundkämpfer sagen, mit einer Bombe Shawkat, Verteidigungsminister Dawoud Rajha und hohe Geheimdienstler umgebracht zu haben. Es kursieren jedoch auch wilde Gerüchte, wonach es sich um eine interne „Säuberungsaktion“ gehandelt habe. Shawkat soll in den Wochen vor seinem Tod immer wieder mit Assads Bruder Maher in Konflikt geraten sein.

Maher al-Assad kommandiert die Vierte Panzerdivision und andere Elitetruppen, die dem Regime treu ergeben sind. In diesen Einheiten dienen vor allem Alawiten – eine religiöse Minderheit, der auch der Präsident und wichtige Teile des Regimes angehören. In der alawitischen Minderheit herrscht Angst davor, nach einem Sturz Assads unter die Räder zu geraten. Deshalb halten viele Alawiten weiterhin zum Regime. Die meisten der Funktionäre, die dem Präsidenten nun die Gefolgschaft aufgekündigt haben, sind Sunniten. Und von Sunniten wird auch der Aufstand getragen.

Als Hafez al-Assad, Bashars Vorgänger und Vater, in den Siebzigerjahren seine Machtbasis aufbaute, konnte er sich nicht nur auf die Minderheit der Alawiten verlassen. Es benötige auch eine Anhängerschaft in der sunnitischen Mehrheitsbevölkerung. So schuf er eine privilegierte Schichte sunnitischer Geschäftsleute, Militärs und Funktionäre der Baath-Partei, die eine wichtige Stütze des Regimes darstellen. Sollte diese Stütze wegbrechen, könnte Assads Herrschaftsgebäude rasch einstürzen.

Revolutionen von oben

Alle bisherigen Umbrüche während des sogenannten Arabischen Frühlings wurden nicht nur durch Revolutionen von unten bewerkstelligt. Sie glückten auch deshalb, weil sie zugleich Revolutionen von oben waren: In Tunesien versagten die Streitkräfte dem Autokraten Zine el-Abidine Ben Ali die Gefolgschaft, in Ägypten drängten die Militärs Präsident Hosni Mubarak aus dem Amt. Und in Libyen liefen schon zu Beginn des Aufstands Teile der Regierung zu den Rebellen über.

In Syrien halten Bashar, sein Bruder Maher und die engsten Vertrauten – gestützt auf alawitische Eliteeinheiten – den Präsidentenpalast weiterhin fest unter ihrer Kontrolle. Doch die Mauern und Säulen rund um sie bröckeln.

Auf einen Blick

Syriens Regierungschef Riad Farid Hijab setzte sich mit seiner Familie nach Jordanien ab. Sein Sprecher gab am Montag bekannt, dass Hijab dem „Terrorregime“ von Machthaber Bashar al-Assad die Gefolgschaft aufgekündigt habe und von nun an für die Opposition arbeite.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.08.2012)

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