Griechenland: Jagd auf Ausländer in Athen

Jagd Auslaender Athen
Jagd Auslaender Athen(c) REUTERS (YORGOS KARAHALIS)
  • Drucken

Die Wirtschaftskrise hat in Griechenland die Wut auf Einwanderer verschärft. Rechtsextreme Gangs wollen "gesäuberte Zonen" errichten. Die Polizei verstärkt Razzien gegen illegale Migranten.

Athen, Kirchplatz zum Hl.Panteleimon an einem heißen Augustabend: Kinder spielen, Erwachsene sitzen plaudernd auf den Kirchenstufen oder spielen Tavli im Park. Von einigen der Lokale ringsum wehen griechische Flaggen, alle Anwesenden sind hellhäutig. Der Platz ist „gesäuberte Zone“. Demonstrationen einer Bürgerbewegung gegen obdachlose Afghanen am Kirchplatz, Angriffe auf Ausländer in dunklen Seitengassen, Ausländerhatz durch motorisierte Banden haben den Platz im 6.Athener Department zum „Sperrgebiet“ für asiatische und afrikanische Migranten gemacht. Viele wollten die „Ausländer“, die ins Viertel drängen, draußen haben und sahen sich vom Staat im Stich gelassen. Die Gegend hat eine der höchsten Kriminalitätsraten des Landes. Raubüberfälle sind das häufigste Delikt, auch Verletzte und Tote hat es schon gegeben. 90 Prozent der Verhafteten: Ausländer.

Die rechtsextreme Partei „Goldene Morgenröte“ (Chrysi Avgi) füllte die staatliche Lücke: Sie ist seit 2008 im Viertel präsent und Architekt der „Säuberung“ – Beteiligung an den Übergriffen auf Migranten wird freilich von Parteisprechern bestritten. Im Wahlkreis kam Chrysi Avgi bei den Gemeindewahlen 2010 über 22 Prozent. Der Sprung von der obskuren Formation zur Partei war geschafft. Der Aufschwung setzte sich mit der Vertiefung der Wirtschaftskrise fort: Bei den Parlamentswahlen im Juni 2012 kam die Partei, deren Chef, Nikos Michaloliakos, öffentlich den Holocaust leugnet, auf knapp sieben Prozent der Stimmen und stellt damit 18 Abgeordnete.

Die griechischen Anrainer verbergen ihre Aversion gegen „die Ausländer“ nicht. Der Besitzer eines Mini-Marktes, einige Straßenzüge vom Kirchplatz entfernt, freut sich auf das Ende der Sommerpause: „Ab Anfang September wird sich zeigen, wie die Wintersaison läuft. Der Staat tut jetzt auch endlich was gegen die Ausländer, die werden eingesammelt. Das bringt vielleicht wieder Kundschaft zurück. Es kommt ja keiner mehr ins Geschäft.“ Direkt neben seinem Laden ist ein pakistanisches Internetcafé, gegenüber wird Wasserpfeife geraucht.

Angriff auf Motorrädern. Kriminalität? „Und wie. Die kommen rein und stehlen, was nicht niet- und nagelfest ist.“ Chrysi Avgi? „Aber ja, es gibt eine Telefonnummer für Notfälle. Aber die können ja keinen Aufpasser abstellen. Die begleiten eher alte Damen auf die Bank, damit sie nicht bestohlen werden, oder sie vertreiben Ausländer, die sich in einem Haus eingenistet haben.“

Für Elias Ahmed, den Vorsitzenden der „Arbeitnehmervereinigung der Migranten aus Bangladesch“ sind die Übergriffe von Rechtsextremen weit weniger harmlos. Migrantenorganisationen haben im ersten Halbjahr 2012 landesweit nicht weniger als 500 rassistisch motivierte Angriffe registriert. „Den Aussagen nach greifen meist motorisierte Gruppen von 20 bis 25 Personen an: in einsamen Nebenstraßen, in aller Früh bei Bushaltestellen – mit Schlagringen, Schlagstöcken, Messern, auch Pistolen.“ Die Dunkelziffer der Attacken sei hoch, aber die Opfer seien meist Illegale und gingen nicht zur Polizei, sagt Ahmed. Und selbst wenn, die Polizei nehme die Anzeigen einfach nicht zur Kenntnis. Ahmed glaubt fest an eine Kooperation von Teilen der Polizei mit den Rechtsextremen.

Ein Spaziergang durch den Teil des Athener Zentrums um und südlich des Omonoia-Platzes oder entlang der Patission-Straße und hinunter bis zu den Geleisen von Bahn und Stadtbahn lässt das Unternehmen der Rechtsextremen absurd erscheinen: Nur fünfzig Meter vom Kirchplatz des Hl.Panteleimon entfernt, an der Acharnon-Straße, verläuft ein schriller, stark bevölkerter Migrantenboulevard: Ägyptische Cafés mit Shishas und kreischender Musik, pakistanische Barbiere, rumänische Reisebüros, indische und chinesische Ramschläden, Trachten und Gerüche aller Länder der Erde existieren hier nebeneinander. Das ist kein „Ghetto“, als das es immer wieder bezeichnet wird. Hier leben Dutzende von Nationen zusammen, auch Griechen, und genau das ist der Kern des Problems.

Am Kirchplatz selbst ist mehr Albanisch, Polnisch oder Rumänisch zu hören als Griechisch. Über 70 Prozent der Schüler im Viertel gehören Nationalitäten der „ersten“ Migrantenwelle der 90er-Jahre an. Sie werden von der Chrysi Avgi geduldet – oder gefürchtet, wie Elias Ahmed glaubt: Mit den gut organisierten Albanern sei nicht zu spaßen, da seien harmlose Arbeiter aus Bangladesch eine leichtere Beute.

Mit Knüppeln auf „Faschistenjagd“. Die Rechten müssen aber auch auf der Hut sein vor Anarchisten auf „Faschistenjagd“, die mit Knüppeln durchs Zentrum streifen. Sie stehen den rechten „Kollegen“ um nichts nach: Die Bildung einander bekämpfender, paramilitärischer Formationen – noch ohne schwere Bewaffnung – ist eine weitere besorgniserregende Entwicklung.

Tatsächlich wirkt das orientalisierte Athen in vielen Teilen wie ein fröhlicher Bazar – aber es kann auch ungemütlich werden. Um den Omonoia-Platz, direkt neben der Polizeistation, stellen sich halb skelettierte, heroinsüchtige Griechinnen zur Beschaffungsprostitution zur Schau, in Seitengassen, die nach Müll, Dreck und Urin stinken, setzen sich vor abbruchreifen Häusern Abhängige Spritzen. Ein Stück weiter südlich, nahe des Athener Fleischmarktes, Ecke Evripidou und Ag. Dimitriou, macht eine Schar nordafrikanischer Jugendlicher Zeichen: Sie verkaufen hier Drogen. Für die anderen Nationalitäten sind die Nordafrikaner einfach die „Marokkaner“; aus ihren Reihen stammt laut Polizeibulletin eine gefährliche Bande. Sie sollen für den Mord an einem Mann in der Patission-Straße verantwortlich sein, der seine Frau zur Entbindung bringen wollte. Nach der Bluttat kam es im Mai 2011 zu einem Ausländerpogrom: Mit Stöcken bewaffnete Banden prügelten um ihr Leben rennende Migranten.

Anfang August 2012 startete der Staat eine „Aktion scharf“ gegen illegale Ausländer. Nun haben die Polizeisperren die Motorrad-Gangs der Rechtsextremen abgelöst. Fast hat es den Anschein, als wollte die Polizei beweisen, dass sie der bessere „Sheriff“ ist. Auch sie hat motorisierte Streifen wie die Elite-Einheit „Dias“ gebildet, die durch die Viertel rauschen und überraschend Ausweiskontrollen vornehmen.

Massenfestnahmen. Elias Ahmed von der Organisation der Arbeiter aus Bangladesch kritisiert die Aktion: „Die harmlosen illegalen Ausländer werden gefangen. Die rechtsextremen Attentäter bleiben ungestraft.“ Das „Ausländerplanquadrat“ kommt gut an in Griechenlands Öffentlichkeit, es wurde auf das ganze Land ausgedehnt. Die Abschiebung illegaler Migranten, in Griechenland zwischen 500.000 bis 800.000, wird von der EU finanziert. Erste Bilanz der Aktion bis 30.August: über 14.000 Festnahmen, 2085 Verhaftungen, Kontrolle von 123 Geschäften, Auffindung von drei Millionen Produktimitationen für illegalen Handel, zehn HIV-positive Prostituierte, elf Festnahmen wegen Waffen- und Drogenbesitzes – und „Behinderung des Verkehrs an Verkehrsampeln“. Das betraf Autoscheibenwäscher.

FAKTEN

„Goldene Morgenröte“ nennt sich die rechtsextreme Partei, die bei der Parlamentswahl im Juni 2012 sieben Prozent der Stimmen erhalten hat. Seit 2008 macht sie sich für die „Säuberung“ des 6. Athener Departements von asiatischen und afrikanischen Migranten stark. Mit bewaffneten Angriffen auf Einwanderer will sie aber nichts zu tun haben.

Motorradbanden haben zuletzt Jagd auf Ausländer gemacht. Meist stürzten sich Gangs von 20 bis 25 Schlägern mit Knüppeln, Schlagringen, Messern und sogar Pistolen auf ihre Opfer.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.09.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.