Deutschland: 668 Euro Pension für 35 Jahre Arbeit?

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Hohe Abschläge für kürzeres Arbeiten seien kein Skandal, sondern notwendig, um das deutsche Pensionssystem zu sichern, sagen Experten. Österreich indes drückt sich um notwendige Reformen im großen Stil.

Wien/Berlin. „Millionen Durchschnittsverdienern droht die Altersarmut“, titelten deutsche Zeitungen am Montag. Der Grund für die Aufregung ist Arbeitsministerin Ursula Van der Leyen (CDU). Sie schockierte am Wochenende mit einem Rechenbeispiel: Wer 35 Jahre lang arbeitet und dabei im Schnitt 2500 brutto verdient, erhielte bei Pensionsantritt 2030 kaum mehr als die Grundsicherung von 668 Euro. Der Pensionsskandal war perfekt.
Aber führt die deutsche Reform, die unter anderem die Senkung des Rentenniveaus von 51 auf 43 Prozent des Nettolohns und eine Anhebung des Antrittsalters auf 67 Jahre vorsieht, wirklich in die Armutsfalle?

„Populistisches Beispiel“

„Keineswegs“, sagt Axel Börsch-Supan, jener Mann, der als Leiter der Rürup-Kommission die deutsche Rentenreform im Wesentlichen gestaltet hat. Das Beispiel der CDU-Politikerin sei „populistisch ausgewählt“ und konterkariere alle Ziele, die mit der Reform verfolgt wurden, so der Ökonom zur „Presse“. So sollten die Reformen vor allem bewirken, dass die Deutschen länger im Erwerbsleben bleiben. „Kein Rentensystem kann es sich leisten, dass die Menschen länger in Pension sind als sie einzahlen.“ Ausgelegt sei es auf Menschen, die 47 Jahre gearbeitet und auch so lange Beiträge abliefert haben. Den Lebensstandard könne man realistischerweise nur „15 Jahre erhalten“.

Van der Leyen verfolgt mit ihrem Vorstoß vor allem ein Ziel: Sie will ihr Modell einer Zuschussrente durchboxen. Bisher steht sie damit auf verlorenem Posten. Die Gewerkschaft hält nichts davon, weil zu wenige davon profitieren würden, Wissenschaftler geißeln das Modell als missbrauchsanfällig, und selbst in der eigenen Partei gibt es heftigen Widerstand. Die „Junge Gruppe“ in der CDU/CSU legt sich quer, da sie zu hohe Kosten für die Jüngeren fürchtet. Diese Sandwich-Generation, zwischen 30 und 50 Jahren, würde noch höhere Beiträge einzahlen, ohne im Alter direkt davon zu profitieren. Für die Jüngeren seien die Probleme geringer, sagt Börsch-Supan. Sie hätten genug Zeit, privat vorzusorgen.

Auch in Österreich gäbe es ähnliche Probleme für die sogenannte Sandwich-Generation, sagt der Pensionsforscher Bernd Marin. Allerdings auf weitaus höherem Niveau. Ein heimischer Arbeitnehmer stiege bei Van der Leyens Beispiel deutlich besser aus: Wer hierzulande 35 Jahre lang 2500 Euro brutto verdient, erhält im Alter 1550 Euro brutto Pension, heißt es aus dem Sozialministerium. Bei 45 Beitragsjahren sind es 2000 Euro. Das entspricht einer Ersatzrate von 80 Prozent. Zum Vergleich: Die deutschen Nachbarn müssen sich mit gerade einmal 43 Prozent begnügen.

Vierteljahrhundert in Pension

Aber wie kann es sich Österreich leisten, seinen Pensionisten so viel Geld zu bezahlen? Die Antwort, die OECD, Weltbank und Pensionsexperten seit Jahrzehnten trommeln, ist simpel: gar nicht. Das Land mit den dritthöchsten Pensionsausgaben weltweit drückt sich seit Jahren um notwendige Reformen im großen Stil. Heuer werden die Steuerzahler über zehn Mrd. Euro zuschießen müssen, um die Pensionskassen flüssig zu halten.

Das Grundproblem ist bekannt: Immer noch gehen Menschen hierzulande so früh in Pension wie in kaum einer anderen Industrienation. Im Schnitt ist mit 58,1 Jahren Schluss. Von drei Österreichern, die das gesetzliche Pensionsalter erreichen, sind zwei längst im Ruhestand.

Ebenso bekannt sind die Lösungsansätze: die Koppelung des Antrittsalters an die Lebenserwartung sowie hohe Abschläge für alle, die kürzer arbeiten – und Zuschläge für längeres Arbeiten. Derzeit sind die Österreicher im Schnitt ein Vierteljahrhundert in der Pension. Jeder Monat, den sie stattdessen arbeiteten, brächte dem Pensionssystem 100 Mio. Euro.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.09.2012)

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