Slowenien: Die Krise, an die niemand glauben will

Krise niemand glauben will
Krise niemand glauben will(c) REUTERS (SRDJAN ZIVULOVIC)
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Verkehrte Welt in Slowenien: Der Premier spricht vom Bankrott, Ökonomen und Opposition glauben, man könne die Krise allein meistern. Wird die einstige "Schweiz Jugoslawiens" zum "Spanien Zentraleuropas"?

Von wenigen Plätzen in Ljubljana hat man einen so guten Ausblick auf die slowenische Krise wie vom Atelier des Stararchitekten Boštjan Vuga. Wobei nicht jeder in Ljubljana daran glauben mag, dass es diese Krise tatsächlich gibt, doch davon später. Für Vuga, der dazu nur einen Blick in die Auftragsbücher werfen muss, ist es eine real existierende Krise; auch einige Exmitarbeiter, die er nicht mehr beschäftigen konnte, dürften das so sehen.

Lässt man also den Blick von Vugas Büro im 14. Stock eines Prunkstücks Tito-jugoslawischen Hochhausbaus über Sloweniens beschauliche Hauptstadt schweifen, fallen bald die von Bauzäunen eingegrenzten Grundstücke auf. Projekte, die wegen der Immobilien- und Kreditkrise oft noch vor dem ersten Spatenstich auf Eis gelegt wurden. Auf dem Grundstück nebenan wurde noch die Grube fürs Fundament ausgehoben, dann war auch hier Schluss. Geisterstädte als Ausgeburten eines megalomanen Bauwahns wie in Spanien sucht man hier zwar vergeblich, doch wenn das Zwei-Millionen-Einwohner-Land, das derzeit wieder gern mit der Bezeichnung „exjugoslawische Teilrepublik“ versehen wird, heute als „Spanien Zentraleuropas“ bezeichnet wird, hinkt der Vergleich nur halb: Denn zur Immobilien- kam auch hier eine Bankenkrise. Die Finanzmärkte reagieren scharf, die Zinsen für langfristige Staatsanleihen überschreiten immer wieder die Horrorschwelle von sieben Prozent.

Dann gab der konservative Premier Janez Janša vergangene Woche auch noch dieses Interview, in dem er von einer möglichen Zahlungsunfähigkeit Ende Oktober sprach. „Manche haben offenbar noch nicht bemerkt, dass sie nicht mehr in der Opposition sind“, sagt Miha Jenko, führender Wirtschaftskommentator der Zeitung „Delo“, lakonisch. Er schätzt, dass die Aussage nur dazu gedacht war, die Koalitionspartner zu disziplinieren und die Opposition in den nationalen Schulterschluss zu zwingen. Doch auch wenn die Situation deutlich schlimmer sei als 2011 und es dem Land immer schwerer falle, frisches Kapital zu bekommen: Mit wem auch immer man in Ljubljana spricht, niemand scheint des Premiers Kassandrarufen recht glauben zu wollen: Auch Architekt Vuga nicht. Ja, die Leute wären jetzt vorsichtiger und würden ihr Geld zurückhalten. Das sei aber auch ein psychologisches Problem, nicht nur eines der Liquidität: „Es herrscht eine neue Nüchternheit, man stellt Besitz nicht mehr so zur Schau.“


Bauruine. Ein wenig stadtauswärts findet sich dann doch noch eine Krisen-Bauruine: Vom Einkaufszentrum neben dem neuen Stadion und der futuristischen Sporthalle, alles nach Plänen aus Vugas Atelier, ist noch nicht einmal der Rohbau fertig. Gearbeitet wird hier schon lange nicht mehr, die Baufirma steht kurz vor dem Zusammenbruch.

Ein paar Fußminuten entfernt an der Wirtschaftsfakultät ist Ökonom Jože Damijan fassungslos über die Worte des Premiers: „Das war einfach nur dumm.“ Das Wort „dumm“ gebraucht er gern, wenn von der Politik und ihrem Krisenmanagement die Rede ist: Schon im Juli habe Janša etwas Ähnliches gesagt, die Finanzmärkte seien sofort nervös geworden: „Das ist eine sich selbst erfüllende Prophezeiung.“ Von Bankrott will Damijan nichts hören: „Nur unsere Politiker können uns dahin bringen.“

Es ist schon merkwürdig: In jedem anderen Land sind es Opposition und Ökonomen, die vor dem Absturz warnen, während die Regierung kalmiert. In Slowenien stimmt der Premier selbst den Abgesang auf sein Land an, alle anderen beschwichtigen, sogar die Opposition: „Die Finanzmärkte hören das? Wirklich? Unser Premier glaubt das nicht!“, sagt Alenka Bratušek mit satter Ironie. Hört man der versierten Finanzpolitikerin von der größten Oppositionspartei „Positives Slowenien“ zu, erscheinen die Probleme des Landes plötzlich viel kleiner: „Erstens sind wir mit den Rückzahlungen von Zinsen und Schulden nicht hinten, zweitens beträgt unsere Staatsschuld weniger als die Hälfte des EU-Schnitts. Und drittens gibt es ja noch die Reserven, die der Staat in den Banken liegen hat (nach unterschiedlichen Angaben zwischen 1,5 und drei Mrd. Euro). Das sollte wohl reichen, um das Jahr ordentlich über die Runden zu bringen.“

Dass es um die Banken schlecht steht, muss auch Bratušek zugeben, wirft der Regierung aber vor, die exakten Zahlen zurückzuhalten: „Sie wollen unsere Blankounterschrift für eine ,Bad Bank‘, sagen aber nicht, um welchen Betrag es geht.“ Am Ende sei es durchaus möglich, dass man den europäischen Rettungsschirm ESM um Bankenhilfe bitten müsse, meint sie.

Der ESM scheint in Slowenien die rote Linie zu sein. Ein Mehr an Fremdbestimmung, etwa durch massive Finanzhilfen und eine Troika aus EU, EZB und IWF, gilt lagerübergreifend als Teufelszeug. Noch die konservativste slowenische Regierung sei sozialer als die Troika, meinte Premier Janša, und da stimmt ihm ausnahmsweise sogar Ökonom Damijan zu: „Die Sparmaßnahmen einer Troika könnten zu sozialen Unruhen wie in Griechenland führen, und dann müssten wir mit der Demokratisierung noch mal bei null beginnen“, malt er ein düsteres Szenario.


Volle Flaniermeilen. Von Unruhen scheint Ljubljana derzeit allerdings so weit weg wie von einem gesunden Bankensystem: Die Flaniermeilen sind voll von Touristen und Einheimischen, in den Cafés am Fluss Ljubljanica ist kaum ein Platz zu bekommen. Ob man sich nicht an einem Ort treffen könne, der die Krise veranschaulicht, frage ich den Essayisten Andrej Blatnik. „Es ist die Frage, ob diese Krise überhaupt existiert“, meint er mit gespielter Beiläufigkeit. Weshalb wir dann doch am Fluss sitzen, wo er seinen Vorbehalt illustriert: Ein Freund habe eine Bäckerei eröffnet und weder Bäcker gefunden, die um drei Uhr früh arbeiten wollten, noch Arbeitslose, die zur Umschulung bereit waren: „So schlimm wie die Regierung sagt, kann es also nicht sein“, meint Blatnik, der freilich selbst die Krise spürt: Der Büchermarkt sei eingebrochen, die Leute würden wieder stärker in die Bibliotheken gehen: „Wie lange es die noch gibt, ist halt bei den Sparplänen der Regierung die Frage“, kommt sofort der verbale Messerstich. Zum Glück sei die aus fünf Parteien bestehende Regierung zerstritten, weshalb es wohl nicht so schlimm kommen werde, meint der Meister des gepflegten Sarkasmus.

Österreichs Handelsdelegierter und Berufsoptimist Christian Miller hofft freilich auf die Regierung und ihre Krisenintervention: „Sie hat relativ rasch ein Sparpaket verabschiedet, jetzt muss man sehen, wie das greift.“ Sloweniens Problem sei, dass es seit der Unabhängigkeit einen Reformrucksack mitschleppe. Da es von Jugoslawiens Teilrepubliken mit Abstand am besten dastand, war der Reformdruck nicht so groß. Man fand rasch Anschluss an die europäischen Märkte, die Wirtschaft glänzte mit Wachstumsraten von sechs, sieben Prozent. Janša beauftragte in seiner ersten Regierungszeit 2004 bis 2008 Ökonomen mit der Ausarbeitung eines Reformplans, erzählt „Delo“-Journalist Jenko. Umgesetzt wurde nichts. „Warum solltest du mit schmerzhaften Reformen politischen Selbstmord begehen, wenn du sieben Prozent Wachstum hast?“ Dann kam die Krise. Und da tun Reformen doppelt weh, wenn die Menschen die helfende Hand des Staates erwarten. Doch die ist leer.


Politische Kredite. Auch, weil man sich mit Privatisierungen viel zu viel Zeit gelassen hat. Bis heute. So kontrolliert der Staat nach wie vor die größten Banken, darunter die marode Nova Ljubljanska Banka. „Wegen der Staatsnähe wurden viele Entscheidungen nicht nach wirtschaftlicher Notwendigkeit sondern nach politischer Begehrlichkeit getroffen“, sagt Miller: „Ein ausländischer Risk Manager hätte da wohl taube Ohren gehabt.“ Auch wegen dieser „politischen Kredite“ sind die Banken erneut in Geldnot.

Doch warum wurde nicht entstaatlicht? „Als es gut lief, hieß es: ,Wieso sollen wir jetzt privatisieren?‘, und nun, da es schlecht läuft, heißt es: ,Im Moment bekommt man sowieso keinen anständigen Preis dafür.‘ Mit einem Wort: Für die Slowenen ist nie ein guter Zeitpunkt zum Privatisieren“, konstatiert Ökonom Damijan.

Und lange lief es ja tatsächlich gut. Außerordentlich gut. Davon kann Jože Menzinger erzählen: Nachdem Slowenien 1991 die Unabhängigkeit erlangt hatte, war er der erste Wirtschaftsminister. 1990/91 bereitete er die Wirtschaft auf die westlichen Märkte vor. Mit großem Erfolg. Lange galt Slowenien als Musterschüler der Transformationsstaaten. „Wir haben unsere gute Ausgangsposition leider nicht genützt“, sagt der Ökonom heute. Die Wurzel allen Übels sieht er in der „Zocker-Periode 2005 bis 2008“. Im Glauben an Traumrenditen von 30 Prozent habe Slowenien große Fehler gemacht: Die Banken schleuderten mit Krediten um sich. „Alle glaubten an ewiges Wachstum“, erinnert sich Wirtschafts-Journalist Jenko. Die Nettoschulden des Landes stiegen in dieser Zeit von null auf zehn Mrd. Euro. Mit der Krise 2008 verschwand der „virtuelle Reichtum“. Die Kredite blieben.

Dennoch hält Mencinger panikartige Hilfeschreie nicht für angebracht. „Wir brauchen Geduld.“ In zehn Jahren könnten die Probleme bereinigt sein. Den hohen Erwartungen, die viele Anfang der 1990er-Jahre hatten, werde das Land aber nicht allzu bald gerecht werden: „Die Idee, dass wir eine Art Schweiz werden, war falsch. Es dauert 160 Jahre, um die Schweiz zu werden. Das geht nicht über Nacht“.

Über Nacht wird es Slowenien wohl auch nicht gelingen, das zu entwickeln, was nach Meinung von Stararchitekt Vuga am meisten fehlt: eine neue Vision. Unabhängigkeit, EU- und Nato-Beitritt, Euro-Einführung – all das hat man im nationalen Konsens zum Ziel erklärt und umgesetzt. Und nun? „Eine neue Vision muss von unten kommen, aus der Gesellschaft“, glaubt Vuga. Noch zeichne sich aber nicht im Ansatz ab, wie sie aussehen könne. An ihrer Stelle klafft derzeit ein großes Loch. Wie die Baugrube neben Vugas Büro, die die Krise leer gelassen hat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.09.2012)

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