Vesna Pusić: "Nationalismus ist tödlich, wenn außer Kontrolle"

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Kroatiens Außenministerin Vesna Pusić spricht im Interview mit der "Presse" über eine drohende Insolvenz im Nachbarland Slowenien, den EU-Beitritt ihres Landes und über ein schwieriges Verhältnis mit Serbien.

Die Presse: Sloweniens Ministerpräsident Janez Janša hat davor gewarnt, dass seinem Land bald das Geld ausgehen könnte. Wie wäre Kroatien von einem Bankrott Sloweniens betroffen?

Vesna Pusić: Kroatien wird am 1. Juli der EU beitreten. Es wird jedoch auf absehbare Zeit nicht Mitglied der Eurozone sein. Wir würden derzeit auch nicht die Kriterien erfüllen. Manche Länder sind der Eurozone beigetreten, ohne darauf vorbereitet zu sein. Das ist uns eine Lehre: Wir wollen nichts überstürzen. Kroatien hat zuletzt ernsthafte Sparmaßnahmen ergriffen. Das ist auch der Grund, warum die Ratingagentur Fitch den Ausblick unseres Ratings (BBB-) von negativ auf stabil gesetzt hat. Kroatien hat eine geringere Verschuldung als andere Länder. Unsere Hauptaufgabe ist es, Investitionen anzuziehen.

Gäbe es nicht einen Spill-over-Effekt, wenn Slowenien bankrott wäre?

Die Slowenen stellen die zweitgrößte Gruppe von Touristen in Kroatien. Zweifellos hätte eine schlechte Finanzsituation in Slowenien Folgen für den Tourismus in Kroatien. Auf dem Spiel stünden vermutlich auch Investitionen kroatischer Unternehmen in Slowenien und auch Bankguthaben.

Slowenien galt immer auch als Vorzeigemodell für Südosteuropa. Wird sich nun in Brüssel die Skepsis gegenüber Newcomern aus Ihrer Region steigern?

Finanzprobleme haben nicht notwendigerweise nur Neulinge in der EU, sondern auch ältere Mitglieder. Ich mache mir mehr Sorgen um die Atmosphäre in Südosteuropa. Wir, zumindest in Kroatien, haben den EU-Beitrittsprozess immer auch als Übung für den Aufbau demokratischer Institutionen betrachtet. Aber das funktioniert nur, wenn die Bürger das auch wollen. Durch die EU-Perspektive haben wir unser eigenes Land stabilisiert.

Und jetzt kippt die Stimmung?

Wir haben über den EU-Beitritt mitten in der Krise abgestimmt, als die Wähler jeden Tag Bilder von demonstrierenden Griechen sahen. Die Zustimmung lag im Jänner trotzdem bei über 66 Prozent. Aber in den anderen Ländern Südosteuropas ist es nun wichtig, den Prozess am Leben zu erhalten. Deshalb war es auch essenziell, dass die EU Verhandlungen mit Montenegro begann.

Aber Sie sehen die EU-Skepsis in der Region im Steigen begriffen?

Vor allem in den Ländern, die weiter entfernt von einem EU-Beitritt sind, steigt das ambivalente Gefühl, nach sauren Trauben zu greifen. Und das, obwohl alle Staaten in der Region wissen, dass sie die Unterstützung der EU für ihren Staatsaufbau brauchen und keine bessere Alternative haben. Mich ermutigt jedoch, dass Serbiens neuer Präsident, dessen Wahl jeder mit neugieriger Besorgnis beobachtet hat, sehr deutlich Serbiens Absicht bekräftigt hat, EU-Mitglied zu werden. Diese EU-Perspektive steigert die Berechenbarkeit. Und das wiederum erhöht die Stabilität und Sicherheit, was sehr wichtig ist in unserer Region.

Halten Sie es für möglich, dass Kroatien den EU-Beitritt Serbiens blockiert aufgrund alter offener Fragen?

Wir hatten viele surreale Erfahrungen in unserem Beitrittsprozess. So bat uns die EU, im kroatischen Parlament eine Resolution zu beschließen, dass wir anderen Nachbarn nie antun, was uns Slowenien antat. Kroatien ist demografisch, geografisch, wirtschaftlich und in jeder Hinsicht mit der Region verbunden. Wir wissen: Es liegt in unserem Interesse, dass unsere Nachbarländer Fortschritte auf dem Weg in die EU machen. Auch ein EU-Beitritt Serbiens liegt in unserem unmittelbaren Interesse. Kroatien hängt vom Tourismus ab. Uns verbinden mehr als 1000 Kilometer Grenze mit Bosnien und Herzegowina. In Dalmatien verläuft die Grenze praktisch hinter dem Strand. Je instabiler die Nachbarn, desto gefährlicher ist es für uns. Deshalb bieten wir jetzt unsere Expertise im EU-Beitrittsprozess auch unseren Nachbarn an.

Serbiens Präsident Nikolić löste nach seiner Wahl Irritationen aus, als er sagte, Vukovar sei eine serbische Stadt. Ist der Streit beigelegt?

Nein, das ist noch nicht bereinigt. Wir verfolgen den Ansatz, nicht mit großen symbolischen Gesten zu arbeiten, sondern in kleinen Schritten. Zunächst sollen die Außenminister Probleme identifizieren, die zu lösen sind. Und dann nähern wir uns allmählich der großen Geste an, also einem Treffen der zwei Präsidenten . . .

. . . das offenbar noch nicht in Sicht ist?

Ich habe keinen Zweifel daran, dass es zu einem solchen Treffen kommen wird, aber ich weiß noch nicht, wann. Davor müssen wir noch einige Vorarbeiten leisten.

In Europa fürchten nun einige, dass das Gespenst des Nationalismus zurückkehrt. Was würde das für Ihre Region bedeuten?

Wir gehen in gewisser Weise in unterschiedliche Richtungen. Nationalismus wurde in unserer Region in dem Machtkampf instrumentalisiert, der zu den Kriegen der 1990er-Jahre geführt hat. Wir haben versucht, uns in den vergangenen 15 Jahren davon zu erholen.

Der Nationalismus ist nicht etwas, das man für immer überwinden kann. Das zeigen Entwicklungen, die sich nun in Westeuropa beobachten lassen. Der Nationalismus ist potenziell immer da. Es kann jederzeit und in jedem Land passieren, und es ist tödlich. Eine Alternative zum Nationalismus ist es, Menschen- und Bürgerrechte voranzutreiben. Auch sie lösen Emotionen aus, und fast jeder kann sich damit identifizieren, aber sie funktionieren in die entgegengesetzte Richtung.

Aber ist denn Nationalismus immer eine dämonische Kraft?

Natürlich gab es auch positive Erfahrungen mit dem Nationalismus, in der Antikolonialismus-Bewegung etwa. Mit dem Nationalismus ist es wie mit der Inflation: Man sagt, kontrollierte Inflation sei eine gute Sache, doch sie ist extrem schwierig unter Kontrolle zu halten. Und wenn sie außer Kontrolle gerät, wird sie tödlich.

Zur Person

Vesna Pusić (geb. am 25. März 1953 in Zagreb) ist seit Dezember 2011 Außenministerin Kroatiens. Die Soziologieprofessorin gehörte 1990 zu den Gründungsmitgliedern der linksliberalen Kroatischen Volkspartei, die sie von 2000 bis 2008 als Parteichefin im Parlament anführte. 2009 trat Pusić bei den Präsidentenwahlen an und erhielt im ersten Durchgang mehr als sieben Prozent der Stimmen.

Am Montag traf die kroatische Außenministerin in Wien mit ihrem Amtskollegen Michael Spindelegger zusammen. Wirtschaftsthemen standen im Vordergrund. Am Vormittag nahm sie an einer Menschenrechtskonferenz teil.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.09.2012)

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